Konkurrenzkampf mit Folgen

Auch Wissenschaftler und Autor*innen sind Arbeiter*innnen - in der Dauerinszenierung im Wissenschaftsbetrieb

  • Ismail Küpeli
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Coronakrise kam etwas zurück, wovon ich gehofft hatte, dass es nur ein einmaliger Zwischenfall gewesen wäre: Dauerton und Hörverlust auf dem rechten Ohr, verbunden mit Gereiztheit und Konzentrationsproblemen - kurz gesagt ein Hörsturz, wie schon im Juni 2018. Anders als damals, als man die Erkrankung auf akute Überarbeitung im Zuge der Berichterstattung über die Wahlen in der Türkei hätte zurückführen können und nach ein paar Wochen die Symptome scheinbar verschwanden, blieben diesmal der Dauerton und die psychische Verfassung.

Die ersten ärztlichen Untersuchungen ergaben keinen direkten Auslöser, aber allgemein gilt Stress als eine mögliche Ursache. Und viele Menschen haben seit Anfang der Coronakrise im Frühjahr 2020 deutlich mehr Stress als vorher, sei es aufgrund der zunehmenden Armut, aufgrund der eingeschränkten sozialen Kontakte oder aufgrund der engen Wohnungen, in denen viel mehr Zeit verbracht werden muss als vorher.

Wobei das Leben im Kapitalismus ohnehin von Stress und Belastungen geprägt ist und der Corona-bedingte Stress zusätzlich dazu kommt. In dieser schlechten sozialen und in der Folge auch schlechten psychischen Lage kommt es zu mehr Leid für die Menschen - die gestiegene Gewalt innerhalb der Familien und die zunehmenden Suizidversuche sind nur die Spitze des Eisberges. Im Vergleich dazu scheint ein Hörsturz schon fast harmlos zu sein.

Wie bei vielen anderen Soloselbstständigen und freiberuflich Tätigen sind auch bei mir im Zuge der Coronakrise fast alle Aufträge und Jobs weggebrochen. Die Forschungsarbeit ist aufgrund der Kontaktbeschränkungen und Schließungen ebenfalls deutlich erschwert. Während also das Einkommen fast gänzlich wegbricht, verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen massiv. Und diese Verschlechterungen kommen zu den ohnehin miserablen Bedingungen, die zuvor schon herrschten, hinzu.

Doch wie sahen die Arbeitsbedingungen für freiberufliche Autor*innen und Referent*innen vor der Coronakrise aus? Grundsätzlich stehen solche Akteur*innen in einem Wettbewerb - oder besser gesagt Konkurrenzkampf - um die wenigen verfügbaren Aufträge und Jobs, die zudem schlecht bezahlt und prekär organisiert ist.

Bei mir konkret bedeutet dies: niedrige Zeilenhonorare, geringe Entlohnungen für Vorträge und die schon fast selbstverständliche Annahme, dass man auch bis spät in die Abende und am Wochenende arbeiten muss, damit man die knappen Abgabefristen erfüllt. Gleichzeitig muss man öffentliche Wahrnehmung für sich selbst generieren, um in diesen Konkurrenzkampf überhaupt eine realistische Chance zu haben.

Aber selbst das reicht nicht aus: Sich bei den richtigen Leuten beliebt machen, Konkurrent*innen schlecht reden und allgemein alle Kontakte nach ihrer Verwertbarkeit hin prüfen gehören ebenfalls dazu, wenn man Erfolg haben will. Dabei muss das öffentliche Bild möglichst wenig Angriffsfläche bieten, denn Schwächen jeglicher Art sind für Konkurrent*innen ein gefundenes Fressen.

Eine solche Dauerinszenierung des eigenen Ichs führt zu mehr Stress. Das alles bedeutet nicht, dass freiberufliche Autor*innen und Referent*innen unter den Folgen Kapitalismus am meisten zu leiden haben. Es zeigt vielmehr, dass auch sie Arbeiter*innen sind, die unter spezifischen Arbeitsbedingungen leiden - auch wenn die meisten unter ihnen sich selbst nicht als Arbeiter*innen verstehen würden.

Dieses fehlende Selbstverständnis wird begleitet von einer fehlenden Thematisierung der eigenen Arbeitsbedingungen und Lebensumstände. So haben sich nach meiner Äußerungen über den Hörsturz auf Social Media viele Menschen aus den Medien und dem Wissenschaftsbetrieb gemeldet und über ähnliche psychische und physische Erkrankungen und über Stress und Konkurrenzdruck als mögliche Ursachen berichtet - aber immer verbunden mit dem Hinweis, darüber nicht öffentlich sprechen zu wollen.

Diese Weigerung wird nicht dazu führen, dass die Verhältnisse sich zum Besseren ändern. Stattdessen müsste es zu einer gemeinsamen Debatte über die Arbeitsbedingungen und danach zu einer solidarischen Reaktion auf die Zumutungen kommen.

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