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- Trump, Twitter und die angebliche Cancel Culture
Das Maß aller Dinge
IN SCHLECHTER GESELLSCHAFT: Wenn sich Menschen mehr über die Sperrung von Trump ereifern, als über systematischen Hass gegen marginalisierte Menschen
Nachdem Trump wochenlang die Legitimität der Wahlergebnisse anzweifelte und seine Anhänger:innen anstachelte, stürmten diese das US-Kapitol. Fünf Menschen sind gestorben, viele wurden festgenommen. Daraufhin wurde Trumps privater Twitter-Account gesperrt. Schade, denn wie soll er jetzt seine Anhänger:innen dazu provozieren, das Herz der Demokratie seines Landes anzugreifen? Die Sperrung ist natürlich ein Schlag ins Gesicht der Meinungsfreiheit, so denken zumindest einige Konservative von ihren Schreibtischen aus. Andere meinen, Trump hätte nicht gesperrt werden dürfen, solange Recep Tayyip Erdoğan und Ali Khamenei weiterhin twittern dürfen.
Wir wissen, dass marginalisierte Menschen viel öfter und härter vom Hass im Netz betroffen sind, dies belegen zahlreiche Studien. Das heißt, wenn du behindert oder queer bist, nicht weiß oder christlich, dann ist das Netz kein sicherer, sondern ein gefährlicher Ort für dich. Man kann zwar auch gegen Hass im Netz Anzeige stellen, die Verfahren werden allerdings in der Regel eingestellt, weil viele Plattformen selbst bei klar strafbaren Inhalten keine Daten herausgeben. Das führt dazu, dass sich immer mehr Menschen gestärkt fühlen, ihren Hass ungefiltert zu verbreiten. Als Konsequenz ziehen sich viele marginalisierte Menschen von den Social-Media-Plattformen zurück.
Es gibt zahlreiche Kampagnen für mehr Sicherheit im Netz, keine davon konnte so viel Aufmerksamkeit generieren wie die Sperrung eines Rechtspopulisten. Wenn marginalisierte Menschen tagtäglich mit Gewalt gedroht und aus Angst um ihr Leben oder das ihrer Familien ihre Accounts löschen müssen, diskutiert niemand über die sogenannte Cancel Culture, Zensur oder Maulkörbe. Das liegt daran, dass der reiche weiße heterosexuelle cis Mann an der Spitze einer Regierung mit Macht als das Maß aller Dinge betrachtet wird, vor allem von denen, die deutsche Redaktionsräume bewohnen. Das Schicksal von Menschen weiter unten auf der gesellschaftlichen Gewaltpyramide juckt sie nicht, weil das für sie nur etwas Abstraktes ist, das weit weg von ihrer weißen Mittelstandsblase entfernt passiert.
Auch wenn an der Kritik, dass Trump gesperrt wurde, während andere Diktatoren twittern dürfen, etwas Wahres dran ist, müssen wir uns den Anlass dieser Kritik genauer anschauen. Sind es die türkischen Student:innen, die wegen ihrer regierungskritischen Tweets von der Polizei aus dem Hörsaal abgeholt und ins Gefängnis gebracht werden? Sind es saudi-arabische Feministinnen, die für die Menschenrechte von Frauen kämpfen und dafür in dreckigen Zellen gefoltert und im Anschluss hingerichtet werden? Nein. Es geht um einen abgewählten Präsidenten, der seine Niederlage nicht akzeptieren möchte und seine Anhänger:innen zu Gewalttaten provoziert, damit er an der Macht bleiben kann. Es geht um einen Politiker, der mehr Twitter-Follows hatte als Deutschland Einwohner:innen hat, und der diese enorme Macht und Reichweite dafür missbrauchte, Falschbehauptungen zu verbreiten und Rechtsextreme zu loben. Durch diese Reichweite und Macht gelang es Trump innerhalb einer einzigen Amtszeit nicht nur die rechtsextremen Bewegungen in den USA stärker zu machen. Er half auch dabei, dass sie sich in anderen Ländern verbreitete, zum Beispiel in Deutschland. Die Bewegung QAnon, bestechend aus Verschwörungsgläubige die Trump als die Rettung vor dunklen Mächten betrachtet, ist inzwischen auch in Deutschland eine reale Gefahr.
Was Trump auf Twitter macht, geht also nicht nur Twitter oder die USA an, sondern uns alle. Vor allem aber jene, die von rechtsextremer Gewalt eher betroffen sind als andere: nicht-weiße, nicht-christliche Menschen, geflüchtete, queere, behinderte und chronisch kranke Personen. Die einen belächeln politische Fahrlässigkeit und die immer stärker, sichtbarer und hemmungsloser werdenden Nazis und nennen ihre Sperrung schamlos Maulkorb und Zensur, während die anderen sterben.
Ist Twitter jetzt plötzlich sicherer, nur weil Trump gesperrt wurde? Natürlich nicht. Wichtig ist zu lernen, dass man mit Nazis und ihren Opfern nicht gleich umgehen kann. Um dies zu verstehen, muss man allerdings machtkritisch denken lernen und gesellschaftliche Machtasymmetrien registrieren. Diese Verantwortung tragen alle Deutsche, vor allem wegen ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit.
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