- Berlin
- Berlin
Kiez statt Kommerz
Berliner Senat übernimmt Kommando am Breitscheidplatz.
Die Berliner Stadtentwicklungsverwaltung hat Nägel mit Köpfen gemacht. Am Dienstag stellte sie die »außergewöhnliche stadtpolitische Bedeutung« für die City West fest. Rund um den Breitscheidplatz wird damit dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf nach der entsprechenden Beschlussfassung durch den Senat die Zuständigkeit für die Aufstellung und Festsetzung von Bebauungsplänen entzogen.
»Das ist politisch extrem nachvollziehbar, wenn man sich vor Augen hält, dass der zuständige Stadtrat die Investoren mit eigenem Bodenverwertungsinteresse mit der Ausarbeitung eines Leitbilds beauftragt hat«, sagt Niklas Schenker, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung, zu »nd«.
Was war letzte Woche noch mal wichtig in Berlin? Plop und Zisch! Aufgemacht! Der Podcast „Rote Brause“ liefert dir alle wichtigen News aus der Hauptstadtregion in nur 15 Minuten.
Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg von der Linke-Abgeordnetenhausfraktion erinnert auch noch an einen weiteren Punkt: »Die Überplanungsbestrebungen in der City Ost durch Politiker aus dem Westen waren überproportional ausgeprägt im Vergleich zum zweiten Berliner Stadtzentrum im Westen.« Nach 30 Jahren werde dieses Ungleichgewicht endlich korrigiert. »Der Nachholbedarf wurde erkannt, weil die Begehrlichkeiten in der City West so überdimensional sind. Für die Grundstücke werden solche Mondpreise fällig, dass fast nur noch dubiose Akteure mitmischen«, so Gennburg.
Sie meint damit auch die vom Österreicher René Benko gegründete milliardenschwere Signa-Gruppe. Im Gegenzug für den Erhalt von Filialen der Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof machte der Senat im August 2020 in einem Letter of Intent, einer Absichtserklärung also, Zusicherungen unter anderem für das Immobilienprojekt am Kurfürstendamm, nur einen Steinwurf vom Breitscheidplatz entfernt. Drei Hochhäuser wollte Signa dort errichten - und erhielt dafür bereits 2018 eine Abfuhr.
In der Absichtserklärung ist von zwei »Hochpunkten« zu lesen. Doch bei der Vorstellung des Entwurfs des Hochhauskonzepts für die City West im Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses am Mittwoch stellt Senatsbaudirektorin Regula Lüscher (parteilos, für Linke) klar: Am Kurfürstendamm sollen keine neuen Hochhäuser entstehen.
»Wie passt das zusammen mit der Absichtserklärung des Senats?«, will SPD-Stadtentwicklungspolitiker Daniel Buchholz wissen. Seine Partei sei gegenüber einer »Höhenentwicklung nach wie vor sehr aufgeschlossen«, betont er. »Die Vorstellungen der Senatsverwaltung decken sich mit denen der Anwohner und der Stadtstruktur«, lobt hingegen die Grünen-Fachpolitikerin Daniela Billig.
Bei Signa gibt man sich betont entspannt. »Wir haben auch weiterhin keine Zweifel, dass der Senat zu seinem Wort steht und die Vereinbarungen des Letter of Intent umsetzt«, erklärt ein Konzernsprecher. Ausschließen will das Senatsbaudirektorin Lüscher nicht: »Es gibt manchmal auch politische Entscheidungen, die von fachlichen abweichen.«
Mit dem Entwicklungskonzept City West der Stadtentwicklungsverwaltung, für das nun ein Entwurf vorliegt, ist der Kampf um die künftige Entwicklung des Gebiets, das von der Potsdamer Straße im Osten bis zur Wilmersdorfer Straße im Westen reicht und Teile von drei Bezirken umfasst, nun offiziell eröffnet. Es soll die Ansprüche als Einkaufs- und Bürostandort und nicht zuletzt auch als Wohngebiet klimafreundlich und nachhaltig unter einen Hut bringen. »Bezahlbarer Wohnraum war 2009 noch nicht das große Thema«, sagt Lüscher. Damals wurde das letzte Leitbild erstellt.
Doch inzwischen ist der Verdrängungsdruck enorm. »Allein dieses Jahr gab es fünf Abrissanträge für Häuser, damit verlieren wir 150 kostengünstige Wohnungen«, berichtet der Charlottenburg-Wilmersdorfer Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne). Durch den Verkauf von Wohnhäusern durch Erben oder betagte Einzeleigentümer zu spekulativen Preisen seien in den letzten Jahren 5000 weitere bezahlbare Wohnungen verloren gegangen. Schruoffeneger nennt diesen Handlungsdruck als Grund, warum er durch die AG City die »Charta City West 2040« erarbeiten ließ. Die AG ist die von der Wirtschaft - darunter große Immobilieneigentümer wie Signa - dominierte Standortvertretung. Für Grüne und Linke aus dem Abgeordnetenhaus war die Bürgerbeteiligung dabei eine Mogelpackung, das Konzept geleitet von den Investoreninteressen.
»Dass wir ein gewisses Ziel nur verfolgen, was die Investoren betrifft, möchte ich zurückweisen«, entgegnet Klaus-Jürgen Meier, Vorstandsvorsitzender der AG City. Er halte die Unterstellungen für »mistig«. Die »ambitionierten und mutigen Empfehlungen« der Charta haben auch nach Ansicht von Stefan Evers,dem Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, »wenig mit Renditemaximierung zu tun«. Auch dürfe es keinen »Wortbruch des Senats gegenüber Signa« geben, sagt er zu »nd«. »Alles andere gefährdet Kaufhausstandorte.«
»Gewisse Ansätze« aus der im Sommer 2020 vorgelegten Charta habe die Stadtentwicklungsverwaltung auch gespiegelt im Konzept, sagt Regula Lüscher. Darunter die deutliche Reduzierung des Autoverkehrs, von Parkplätzen und die Erhöhung des Anteils an begrünten Flächen. »Wir müssen vor allem die Straßenräume als Lebensräume zurückgewinnen«, so Lüscher. Ein ungezügelter Hochhausbau, der in der »Charta City West 2040« als flächensparend gepriesen wird, gehört nicht dazu. Als potenziell geeignet angesehen werden nur Flächen im Bereich zwischen Breitscheid- und Nollendorfplatz sowie auf der Rückseite des Bahnhofs Zoo. »Ich habe keine Allergie gegen Hochhäuser, deshalb haben wir ja das Hochhausleitbild gemacht«, erklärt die Senatsbaudirektorin.
»Den Bestand zu sichern heißt, mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen«, sagt Architektin Theresa Keilhacker. Die Städtebauexpertin nennt neben der Sicherung bezahlbaren Wohnraums und des architektonischen Erbes der Nachkriegsmoderne auch den Klimaschutz, denn Neubau ist einer der großen CO2-Emittenten. »Die Schlussfolgerung müsste sein, dass wir vorerst keine Abriss- und auch keine Hochhausgenehmigung für die City West mehr erteilen«, erklärt Keilhacker. Hochhäuser bis 60 Meter lassen sich noch zu recht moderaten Kosten errichten, darüber hinaus wird der Bau so teuer, dass an bezahlbare Wohnungen nicht zu denken ist.
Der Blick der Senatsverwaltung richtet sich auch auf die Erdgeschosse. »Wenn der Einzelhandel sich zurückziehen muss, eröffnet sich die Chance, dass dadurch Raum für andere, kiezbezogenere Nutzungen entsteht. Dass auch die City West mit ihrem Metropolencharakter und der Ausrichtung auf den Tourismus wieder etwas kieziger wird«, sagt Regula Lüscher. Das sei dringend nötig, findet Bezirkspolitiker Niklas Schenker. »Schon vor der Corona-Pandemie war ab 20 Uhr die City West tot«, berichtet er. »Dabei war das früher auch abends eine spannende Gegend.«
Schon bald soll die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Senatskonzept beginnen. Städtebauerin Theresa Keilhacker fordert dabei eine »aufsuchende Beteiligung«, um auch Kulturschaffende und nichtkommerzielle Anlieger zu erreichen. Auch Studierende sollten befragt werden, denn nach dem Uni-Besuch verließen sie die City West schnell wieder.
»Nun muss Schluss sein mit dem Investoren-Eldorado. Man muss jetzt rangehen mit Vorkaufsrechtsgebieten und vorhabenbezogenen Bebauungsplänen, um eine sozial-ökologische Stadtentwicklung zu sichern«, fordert Linke-Politikerin Katalin Gennburg.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.