Hafen hinter Mauern

Berlin will ein sicherer Ort für Geflüchtete sein, doch neue Zahlen zeigen: Immer weniger Schutzsuchende schaffen es bis dahin.

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 5 Min.

Während auf den griechischen Inseln immer noch Tausende Geflüchtete unter menschenunwürdigen Bedingungen ausharren und in Bosnien-Herzegowina Hunderte Geflüchtete aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Lipa weitgehend schutzlos dem Winter ausgeliefert sind, schaffen es immer weniger Schutzsuchende in die deutsche Hauptstadt: Laut Jahresbericht des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) hat Berlin im vergangenen Jahr 4589 Asylsuchende aufgenommen - das ist fast ein Drittel weniger als noch im Vorjahr. Das LAF führt das vor allem auf die Corona-Pandemie zurück. So kamen nach Schließung der Grenzen im Frühjahr zwischenzeitlich nur noch rund 250 bis 300 Personen pro Monat, im Juli stieg die Zahl dann wieder auf fast 1000, wovon etwa die Hälfte auf andere Bundesländer verteilt wurde.

Unter den Neuankömmlingen waren auch rund 140 Flüchtlinge aus Griechenland, die im Rahmen eines Bundesprogramms nach Berlin kamen. Zusätzlich hatte Rot-Rot-Grün mit einem Landesaufnahmeprogramm bis zu 300 Asylsuchende aus den überfüllten griechischen Lagern aufnehmen wollen, scheiterte damit jedoch am Veto von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Mit einer Klage gegen den aufnahmeunwilligen Heimatminister will das Mitte-links-Bündnis die humanitäre Hilfe nun erzwingen und damit juristisch klären, ob Länder auch ohne Einverständnis des Bundesinnenministeriums (BMI) Geflüchtete aufnehmen können. Die Klage sei beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht und liege dort jetzt zur Entscheidung, heißt es auf nd-Anfrage aus der Senatsinnenverwaltung.

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Angesichts der humanitären Katastrophe in Lipa, wo die Geflüchteten vor dem vor drei Wochen abgebrannten Lager in Militärzelten campieren müssen, fordern der Flüchtlingsrat Berlin und die Organisation Seebrücke auch für in Bosnien gestrandete Schutzsuchende ein Landesaufnahmeprogramm. Die Lage dort sei schlimmer als in Moria, berichtet eine freiwillige Helferin. Viele Geflüchtete hätten infolge von Misshandlungen bei Pushbacks durch die kroatische Polizei erhebliche Verletzungen erlitten, aber keinerlei Zugang zu medizinischer Versorgung. Es gebe keinen Strom, kein fließendes Wasser, keine Heizung, die Menschen litten unter Kälte und Hunger. »Deutschland muss endlich seiner Verantwortung gerecht werden und Schutzsuchende aus Bosnien aufnehmen. Berlin muss jetzt vorangehen und hierzu einen aktiven Beitrag leisten«, fordert Georg Classen vom Flüchtlingsrat. Anders als im Fall Griechenlands könne dies seitens des BMI nicht mit dem Argument des Vorrangs der Asylzuständigkeit in der EU nach der Dublin-Verordnung zurückgewiesen werden, erklärt er.

Auch die Linksjugend Solid Brandenburg fordert ein Aufnahmeprogramm für Geflüchtete aus Bosnien. »Diese Menschen nahmen ihre Reise nach Europa auf sich, um ein besseres Leben zu finden, nun stehen sie vor dem Tod in einem der vielen Elendslager auf europäischem Boden«, so Sprecherin Jasmina Feig. Bislang gibt es jedoch noch keine Bestrebungen in diese Richtung. Aktuell plane Brandenburg kein eigenes Aufnahmeprogramm, heißt es auf nd-Anfrage aus dem Integrationsministerium. Man werde bei einer Aufnahme durch die Bundesregierung aber gern kooperieren. Ähnliche Töne kommen aus der Hauptstadt. »Bevor wir über ein Berliner Landesaufnahmeprogramm diskutieren, muss der Bund erst einmal ausloten, was er zur Verbesserung der humanitären Lage in den bosnischen Flüchtlingslagern beitragen kann«, so die Senatsinnenverwaltung.

Vom Bund ist in dieser Hinsicht allerdings wenig zu erwarten. Horst Seehofer will keine Flüchtlinge aus Bosnien nach Deutschland holen, die Christdemokrat*innen setzen lieber auf eine Stärkung der EU-Außengrenzen. Es sei »unverantwortlich«, wenn Deutschland »einseitig« Menschen aufnähme, äußerte sich CDU-Bundestagsfraktionsvize Thorsten Frei diese Woche gegenüber dem RBB. »Die Hilfe muss vor Ort geschehen.« Laut Berliner Flüchtlingsrat ist die humanitäre Hilfe durch NGOs seitens der bosnischen Behörden jedoch verboten.

Die Berlin-Brandenburger Hilfsorganisation »Wir packen’s an« ist seit einer Woche mit einem Krisenteam in Lipa. Sie verteilte 1000 Paar Winterschuhe an die Menschen im Lager. Bei ihrem Besuch seien sie erschüttert gewesen von den notleidenden, frierenden Menschen, viele von ihnen barfuß in Sandalen im Schnee, so die Hilfsorganisation. Am Samstag wollen sie 1000 weitere Pakete mit warmer Kleidung verteilen. »Erschreckend ist, dass es an allem fehlt. Es gibt zu wenig Schlafsäcke, die Leute haben hier teilweise bei Minusgraden T-Shirts an, es braucht dringend noch viel mehr Hilfe«, so der Vereinsvorsitzende Uwe Steinert.

Dabei wäre in den Aufnahmeeinrichtungen der Hauptstadt ausreichend Platz. 18 737 Menschen sind dort derzeit untergebracht (Stand 12. Januar). Insgesamt gibt es rund 1000 freie Plätze, sagt LAF-Sprecher Sascha Langenbach auf nd-Anfrage. Wegen der Hygiene- und Abstandsregeln müssten davon zwar einige frei gehalten werden, aber: »Wenn zusätzlich 300 Flüchtlinge kommen, kriegen wir die unter. Wir sind auf alle Fälle vorbereitet.«

Alles in allem ist das LAF nach eigenen Angaben bisher glimpflich durch die Coronakrise gekommen. »Anders als zu Beginn der Pandemie von manchen befürchtet, konnten wir das Infektionsgeschehen bislang weitgehend unter Kontrolle halten«, so LAF-Präsident Alexander Straßmeir. Insgesamt haben sich in Berlin bislang 1016 Geflüchtete mit Corona infiziert, 972 davon sind wieder genesen. Vier Menschen sind seit Ausbruch der Seuche daran gestorben, alle hatten schwere Vorerkrankungen, so LAF-Sprecher Langenbach. Derzeit gebe es 46 positiv-getestete Fälle, 30 davon seien in Quarantäne-Einrichtungen untergebracht, 17 in ihrer Wohneinheit isoliert.

Steigende Zahlen verzeichnet das LAF hingegen bei der Schaffung von Unterkünften: 1500 Plätze sind laut Jahresbericht im vergangenen Jahr entstanden. In diesem Jahr sollen weitere modulare Unterkünfte (MUF) eröffnet werden, die einen weit besseren Standard haben als die bisherigen Tempohomes. »Dort gibt es keine Zäune, keine Security und eigene Wohnungen«, so Langenbach. Dafür müssen die Menschen mitunter auch lange Zeit dort bleiben: Rund die Hälfte der fast 19 000 Heimbewohner*innen haben Anspruch auf eine Wohnung, finden aber keine. Knapp 2100 Flüchtlinge konnten im vergangenen Jahr in die eigenen vier Wände ziehen, das sind etwas mehr als im Jahr zuvor. Die durchschnittliche Dauer der Wohnungssuche betrug dabei mehr als ein Jahr.

Diejenigen, die in den Gemeinschaftsunterkünften bleiben müssen, sind derzeit vor besondere Herausforderungen gestellt. Neben der Schwierigkeit des Abstandhaltens bereitet auch das Homeschooling Probleme. So gibt es nur in 60 von 78 Unterkünften WLAN in den Zimmern, in den übrigen 18 müssen die Kinder in Gemeinschaftsräumen ihre Aufgaben erledigen. »Es gibt für sie keine Rückzugsmöglichkeiten zum Lernen, auch keine Schreibtische in den Zimmern«, sagt Langenbach. Ganz abgesehen von der mangelnden Ausstattung mit Laptops. Angesichts der Tatsache, dass der Präsenzunterricht zur Zeit noch in weiter Ferne scheint, arbeite man mit allen Betreibern daran, hier Lösungen zu finden, verspricht der LAF-Sprecher.

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