Malen mit Bieratem

Ein historischer Roman über den Künstler Kurt Schwitters

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 4 Min.

Kurt Schwitters (1887 - 1948) war Vertreter einer radikalen Avantgarde. In einem kurzen autobiografischen Text, den der Künstler und Literat 1930 verfasste, heißt es: »Meine Erfolge auf Kunstschulen waren nie groß, denn ich kann ja nicht lernen, das ist mein Kummer, und was ich selbst wollte und mußte, das stand nicht auf dem Programm. Für mich bedeutet Kunst schaffen und nicht imitieren, sei es der Natur, sei es stärkeren Kollegen, wie das so üblich ist.« Und in einem anderen Text, kurze Zeit später entstanden, lässt sich Schwitters über sein ästhetisches Anliegen so aus: »Ich weiß, daß man nur ein Ziel bei einer Arbeit haben kann, und die Kunst ist mir viel zu wertvoll, um als Werkzeug mißbraucht zu werden; lieber stehe ich persönlich dem politischen Zeitgeschehen fern.«

Dazwischen oszilliert Ulrike Draesners Schwitters-Bild, das sie in ihrem neuen Roman entwickelt, der - wie sie in ihrem Nachwort zum Text schreibt - ausdrücklich kein Künstlerroman sein soll. Ein Roman ist es aber definitiv, denn er erzählt ja, so Draesner in einer poetologischen Reflexion, der sie selbst den Titel »Rechtlicher Hinweis« gibt, »was nicht gesagt wurde, nicht gesagt werden konnte, nicht aufgeschrieben werden durfte, er bewohnt das privilegierte Reich der Fiktion, in dem die Grenze zwischen Schweigen und Sprechen stets neu ausgelotet und verhandelt wird - und in dem wir, als Leser*innen, durch die Zeit reisen dürfen in das Innere von Menschen, denen wir ein zweites und drittes Leben geben, durch uns selbst«.

Vielleicht trifft die Bezeichnung »historischer Roman« noch am ehesten die Intention Draesners, die nicht zuletzt die Exilproblematik im Blick auf das Künstlertum Schwitters zentral in den Mittelpunkt rückt - und sich damit an die Seite erfolgreicher Titel aus den letzten Jahren, unter anderen von Ursula Krechel oder Michael Lentz, stellt. Dabei setzt ihre Erzählung im Sommer 1933 ein, als Kurt Schwitters noch gemeinsam mit seiner Frau Helma das elterliche Haus in Hannover bewohnt, aber argwöhnisch von den Nazi-Schergen beobachtet wird. »Er war nicht mutig. Und er wollte es nicht sein. Er wollte nicht, dass es ihm abverlangt wurde. Allein in der Kunst wusste er, was er tun musste. Da nannten andere es Mut.«

Erst als die Übergriffe massiver werden, entschließt er sich, gemeinsam mit dem Sohn Ernst und seiner norwegischen Frau zunächst nach Norwegen zu emigrieren - ohne seine Frau allerdings, die mit der Großmutter die Villa weiter bewohnt, bis diese schließlich zum Ende des Krieges zerstört wird und Helma, wie sehr viel später im Roman knapp erzählt wird, an einem Krebsleiden verstirbt. Ihren Mann hat sie nur für kürzere Zeit gelegentlich wiedergesehen, aber nach dessen Emigration nach England, von einem Auffanglager über London bis die längste Zeit auf dem Land in Ambleside, gar nicht mehr.

Kurt Schwitters hat in England seine zweite Frau Edith kennengelernt - er, der begnadete Künstler und rastlose Produzent einerseits, der »Kunst pausenlos und überall« zu schaffen in der Lage ist, »im Zweifel auch auf dem Bett seines Nachbarn. Kunst aus Porridge, aus Bauresten, Muscheln, Müll, Tang. Es stank. Kurt stank«; der Filou und Charmeur andererseits, der - soll man sagen: Brecht-like - sich der Frauen hemmungslos bedient.

Draesner gelingt es, die Widersprüche und Ambivalenzen des Menschen und Künstlers zu verdeutlichen, zugleich auch die grundsätzlichen Schwierigkeiten, mit denen er in der Fremde und Unbehaustheit des Exils zu kämpfen hat. Man mag an diesem Roman bemängeln, dass die weiblichen Protagonisten - Helma und Edith - in ihrer Eigenständigkeit kaum zu Wort kommen und zu sehr auf ihre Beziehung zu Schwitters zurechtgestutzt werden, dafür aber vermag Draesner ein ebenso einfühlsames wie zugleich - und auf gelungene Weise auch zu Recht - distanzloses Porträt des Künstlers zu bieten: »Er war ein wandelnder, steinbruchstinkender, biersaufender, eichenschwerer, Pubfreunde erzeugender, komischer, sonniger, schiefer, brauchend-brauchbarer Dauerhunne in englischer Form. Er malte helle Schatten und unsichtbare Ausdrücke, er malte mit Bieratem und Müllfindeblick und dem allerletzten Rest Kurtgenie.«

Ulrike Draesner: Schwitters. Penguin, 480 S., geb., 25 €.

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