Jetzt helfen nur noch Siege

Die erste Niederlage setzt die deutschen Handballer gegen Spanien unter Druck

  • Michael Wilkening, New Capital
  • Lesedauer: 3 Min.

Paul Drux zog seinen Pullover noch ein Stück weiter nach oben, Johannes Bitter seine Schultern zusammen und auch Uwe Gensheimer fröstelte. Rund um die deutsche Handball-Nationalmannschaft gab es gestern einen Temperatursturz, allerdings nur wetterbedingt. Nach der Vorrunde bei der Weltmeisterschaft in Ägypten stand der Umzug vom sonnigen Hotel mit direkter Sicht auf die Pyramiden in Gizeh ins etwa 50 Kilometer entfernte Luxus-Resort in New Capital an.

»Hier bauen wir das neue Kairo«, sagte einer der Hotelbediensteten. Für die Deutschen steht die neue Bleibe als Sinnbild für einen Neuanfang. Nach der Niederlage gegen Ungarn am Dienstag geht das Team mit zwei Minuspunkten in die Hauptrunde. Am Donnerstag gegen Europameister Spanien (20.30 Uhr) muss ein Sieg her, um aus eigener Kraft das Viertelfinale erreichen zu können.

»Das ist ein Do-or-Die-Spiel«, sagte Paul Drux. Der Rückraumspieler der Berliner Füchse ist gerade 25 Jahre alt, gehört aber schon zu den Routiniers im Kader des Deutschen Handballbundes. Drux spielte vor sechs Jahren seine erste Weltmeisterschaft und gehörte beim 28:29 gegen die Ungarn zu den besten deutschen Spielern. An ihm lag es nicht, dass die Mannschaft von Alfred Gislason nach 60 Minuten mit Höhen und Tiefen als Verlierer vom Platz ging.

Unmittelbar nach der Begegnung in der Hassan-Moustafa-Halle waren die deutschen Spieler mit hängenden Köpfen zunächst in die Kabine geschlichen und wenig später in den Mannschaftsbus geklettert. Gestern nach dem Einzug in das neue Hotel war schon wieder etwas Optimismus zurückgekehrt. »Nach so einer Niederlage denkt man im ersten Moment, das Turnier sei vorbei«, sagte Johannes Bitter: »Aber so ist es nicht.«

Bitter ist 38 Jahre alt, der erfahrenste Akteur im DHB-Team und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die WM-Neulinge davon zu überzeugen, dass ein Spiel verloren ging, die Weltmeisterschaft aber weiterhin viele Chancen bereithält. »Wir haben schon mal ein Spiel in der Vorrunde verloren und danach noch viel erreicht«, sagte Bitter mit Blick auf die WM 2007 im eigenen Land - damals wurde Deutschland Weltmeister, nachdem es zuvor gegen Polen verloren hatte. So weit wird es für die Deutschen bei diesem Turnier voraussichtlich nicht gehen, aber zumindest das Viertelfinale ist das angepeilte Ziel.

Daraus ergibt sich für Uwe Gensheimer eine klare Rechnung. »Ich gehe davon aus, dass wir alle drei Spiele in der Hauptrunde gewinnen müssen«, sagte der Kapitän. Selbst bei einer Niederlage gegen die Spanier wären nicht alle rechnerischen Möglichkeiten passé, es in die K.o.-Runde zu schaffen, aber aus eigener Kraft können es die Deutschen nur mit drei Siegen schaffen. In den Duellen gegen die Iberer, Brasilien (Samstag) und Polen (Montag) darf es deshalb vermutlich keinen Rückschlag mehr geben.

Notwendig ist deshalb ein schneller Lerneffekt, denn die Spanier werden ähnliche Mittel wie die Ungarn anwenden, um den Deutschen Schmerzen zu bereiten. »Die gucken das Video vom Spiel gegen Ungarn sicher auch«, vermutete Drux. Die Iberer, mit reichlich Erfahrung und Qualität ausgestattet, werden mit ihren starken Rückraumspielern und den Kreisläufern versuchen, den deutschen Innenblock zu attackieren. Zudem verfügen sie laut Bundestrainer Alfred Gislason über die »weltbeste Abwehr«.

Mit dieser hat die deutsche Mannschaft in der jüngeren Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht. Bei den Europameisterschaften 2018 und zwei Jahre später kassierten sie gegen die Spanier deutliche Niederlagen, in beiden Partien war die DHB-Auswahl chancenlos. Nur bei der Heim-WM 2019, im damals bedeutungslosen letzten Hauptrundenspiel, gelang ein knapper Sieg. »Wir haben noch etwas gutzumachen«, sagte Drux gestern vor dem Videostudium der Spanier im neuen Teamquartier.

Der Isländer Gislason weiß um die Schwere der Aufgabe, denn der Europameister von 2018 und 2020 ist stärker, als es die Ungarn waren. Die deutsche Mannschaft muss nicht nur einen sehr guten Tag erwischen, sie muss über sich hinauswachsen. DHB-Vizepräsident Bob Hanning formulierte es so: »Die Jungen müssen all ihre Energie reinbringen, die Erfahrenen müssen die Energie lenken.«

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