Einsam im Lockdown

Alleinsein in der Großstadt wird in der Pandemie zunehmend zum Problem

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Nein, einsam sei er nicht, sagt Taylan Kurt am Telefon. »Aber ich mache mir Sorgen um die vielen Menschen in der Großstadt, die alleine leben und denen jetzt, seit fast einem Jahr, Möglichkeiten fehlen, um sich unter Leute zu begeben, sei es in Cafés, bei Sportangeboten oder zum Gymnastikkurs«, erklärt der Bezirkspolitiker von den Grünen dem »nd«. Allein 140.000 Personen sind es in Mitte - 61 Prozent der Bewohner*innen des Innenstadtbezirks.

Das sind im bundesweiten Vergleich sehr viele. Aber nicht wenige Menschen in der Metropole wollen auch allein leben, suchen die Anonymität. Die Schattenseite: In einer Situation wie der Corona-Pandemie mit vielen Beschränkungen fehlt ihnen der gewohnte soziale Kontakt außerhalb davon umso mehr. Aus Alleinsein wird Einsamkeit - und das Gefühl verstärkt sich, je länger die Situation anhält. Ein allgemeingültiges Kriterium, um Einsamkeit zu messen, gibt es nicht. »Sie ist das subjektive Empfinden von Menschen, dass die Qualität und Quantität ihrer sozialen Beziehungen den eigenen Erwartungen nicht entspricht«, schreibt Taylan Kurt in einem Antrag an die Bezirksverordnetenversammlung Mitte. Er fordert darin eine bezirkliche Strategie gegen Einsamkeit mit mehr Personal im Sozialamt sowie eine*n »Einsamkeitsbeauftragten«.

Gefährdet ist nicht nur eine besondere Altersgruppe, selbst wenn das häufig zum Beispiel in der Werbung suggeriert wird. Neben sehr alten Menschen trifft es auch Pflegebedürftige, pflegende Angehörige, Frauen, Personen mit zugeschriebenem Migrationshintergrund, aber auch generell Personen zwischen 30 und 40 Jahren, so das Bundesfamilienministerium. Gerade jetzt in den Wochen und Monaten von geschlossenen öffentlichen Schulen, Jugendzenten, Sporthallen und Kindergärten kommen viele Kinder und Jugendliche dazu, denen Alltagskontakte fehlen.

»Es geht nicht nur um alte Menschen«, betont auch Taylan Kurt. Aber natürlich habe er auch seine Mutter oder seine Großmutter vor Augen, für die fehlende Familienzusammenhänge eine große Rolle spielen. Das Thema beschäftige ihn auch nicht erst seit der Coronakrise mit ihren Kontaktbeschränkungen und Schließungen, meint der 32-Jährige, dessen sozialpolitischer Schwerpunkt sonst eher im Bereich Obdachlosigkeit liegt. »Einsamkeit ist ein milieuübergreifendes Problem«, sagt Kurt. Er kritisiert: »Wenn eine Stadt allein durch die Art und Weise zu bauen eine Gesellschaft von Alleinlebenden produziert, dann kann auch das Problem von Einsamkeit keine Privatangelegenheit sein.«

Der Bezirk Mitte soll sich daher auch gegenüber dem Senat für eine Kampagne einsetzen, die die Bevölkerung breit über Angebote gegen Einsamkeit informiert.

Denn die gibt es, nur haben viele kleine Initiativen nicht besonders viel Reichweite. So hat sich in Steglitz-Zehlendorf der FDP-Politiker Detlef Untermann der Sache angenommen. Untermann betreibt dort zusammen mit seiner Ehefrau das »Plaudertelefon«, immer nachmittags von 15 bis 18 Uhr, auch am Wochenende. Das Angebot ziele vor allem ab auf ältere Menschen, die nur noch wenige, bis gar keine Kontakte mehr haben, so der 68-Jährige. Beim Plaudertelefon könne man sich seinen Kummer von der Seele reden. »Wir haben einige Anrufe und Reaktionen gehabt«, teilte Untermann mit. »Ich würde mir aber wünschen, dass von dem Angebot noch mehr Gebrauch gemacht würde.«

Auch in die Strategie, wie sie Taylan Kurt sich vorstellt, sollen bestehende Verbände und Vereinigungen eingebunden werden. Dazu zählen unter anderem die Senior*innenvertretung Berlins, die Freiwilligenagentur, die Kassenärztliche Vereinigung, Initiativen von pflegenden Angehörigen und Migrant*innenselbstorganisationen. Aber auch Initiativen wie Silbernetz oder der Verein Freunde alter Menschen, die sich besonders an Hochbetagte richten, sollen dabei sein.

Reiner Behrends von Freunde alter Menschen stimmt dem Ansatz zu: »Es ist wichtig, präventive Strategien gegen Einsamkeit in der Bevölkerung zu entwickeln«, erklärt er gegenüber »nd«. Auch jüngere Menschen seien betroffen, aber gerade Älteren gelänge es nur schwer, sich aus einer solchen Lage wieder zu befreien.

In dem Verein mit sechs fest angestellten Mitarbeiter*innen kümmern sich 191 Freiwillige berlinweit um 336 ältere Menschen über 75, die nicht an Demenz oder psychisch erkrankt sind. Über sogenannte Besuchspatenschaften können sie regelmäßige Kontakte genießen. Darüber hinaus, so Behrends, arbeite man mit Wohnungsgenossenschaften zusammen, um es den Senior*innen zu ermöglichen, so lange wie möglich in ihrer eigenen Wohnung zu leben.

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