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Ziemlich progressiv
Joe Biden beschwört die »Einheit«, doch bislang ist er nicht auf die Republikaner zugegangen. Gut so, schreibt Johannes Simon
Der Amtsantritt eines neue US-Präsidenten ist eine zivil-religiöse Veranstaltung. Nach dem rituellen Schwur auf die Bibel folgt eine Rede des neuen Präsidenten, in der traditionell die amerikanischen Ideale hochgehalten werden. Trump brach vor vier Jahren mit diesen Gepflogenheiten, mit einer düsteren Rede über das »amerikanische Gemetzel«, das er nun endlich beenden werde. Joe Biden dagegen signalisierte auch in diesem Punkt: Mit mir geht es zurück zur Normalität. Neben den üblichen patriotischen Gemeinplätzen von Gott, Armee und Bibel war die »Einheit« das große Thema seiner Rede. Nur wenn die Nation wieder geeint sei, könne man behaupten, dass »Amerika seine Freiheit gesichert hat und wieder als Leuchtfeuer für die Welt da steht.«
Viele Kommentatoren bemerkten den eklatanten Widerspruch, der darin lag, dass die wichtigen Herausforderungen der Gegenwart, von denen Biden in seiner Rede sprach - die Klimakrise, der wachsende Rechtsextremismus -, nicht gemeinsam mit den Republikanern, sondern nur im Kampf gegen sie gelöst werden können. Muss man jetzt befürchten, dass Biden vor lauter Einheitswünschen so weit auf die Republikaner zugeht, dass er wie ein Republikaner-Light regiert?
Biden hatte schon im zurückliegenden Wahlkampf den Anspruch der Demokraten verkörpert, auch die konservative weiße Mittelschicht zu erreichen. Für moderate Liberale wie Obama und Clinton ist der Kompromiss mit dem politischen Gegner per se ein hohes Gut - das Zeichen einer vernünftigen und unideologischen Politik. Das Problem ist nur, dass sich die Republikaner zunehmend radikalisiert haben und an diesem kollegialen Politikstil kaum noch Interesse zeigen. Obama hatte noch sehr angestrengt versucht, Kompromisse mit den Republikanern zu finden - während diese ihn zum großen Teil für einen illegitimen Sozialisten oder Muslimen hielten. Auch dadurch war Obamas Reformagenda von vornherein eingeschränkt. Biden tickt eigentlich sehr ähnlich. Sein halbes Leben hat er im Senat eng mit Republikanern zusammengearbeitet und dort zum Teil sehr konservative Politik gemacht.
Bislang allerdings weisen die angekündigten ersten Schritte der Biden-Regierung in eine andere, ziemlich progressive Richtung: Beim Mindestlohn, der umkämpften Keystone-Pipeline, dem Klimaschutz, den Corona-Hilfen, den Studiumsschulden - in all diesen Feldern plant Biden solide Gesetzesinitiativen. Vor allem die überraschend ambitionierte Reform des Einwanderungsrechts wird die Republikaner voraussichtlich zur Weißglut treiben. Ob und in welcher Form diese Ankündigungen tatsächlich umgesetzt werden, bleibt abzuwarten, doch zumindest geht Biden erst einmal keine großen Schritte auf die Republikaner zu.
Vielleicht haben die Demokraten die Lektion der Obama-Jahre gelernt, dass es nämlich keinen Zweck hat, auf die Republikaner zuzugehen. Die unbedingte Feindschaft zu den Liberalen ist der ganze Inhalt ihrer politischen Identität. Daran ist noch jeder kompromissbereite Demokrat gescheitert. Laut einer CNN-Umfrage glauben immer noch mehr als die Hälfte der republikanischen Wähler, dass Trump der eigentliche Wahlsieger gewesen ist. Ihnen wird wohl kaum der Sinn nach »Einheit« stehen.
Aber auch die Liberalen sind nach vier Jahren Trump keineswegs darauf erpicht, der Gegenseite die Hand zu reichen. Direkt nach Bidens Amtsantritt wird im Senat das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump anlaufen. Hillary Clinton und die mächtige Demokratin Nancy Pelosi forderten in einem öffentlichen Gespräch gar eine offizielle Ermittlungskommission, um die Trump-Regierung aufzuarbeiten, es soll vor allem um die Frage gehen, ob hinter Trump nicht doch Putin stehe, der »die Fäden zieht.«
Ein Vergeben und Vergessen wird es von den Demokraten nicht geben. Die Spaltung zwischen den beiden Lagern ist zu tief - wenn auch die tatsächlichen Differenzen in der Wirtschaftspolitik nicht so groß sind, wie das politische Getöse glauben macht. Auch teilen die Berufspolitiker beider Parteien einen stummen Konsens in der Außen- und Militärpolitik.
Joe Biden wird trotzdem brav weiter fordern, das Land müsse »heilen« und Gräben überwinden. Aber mit der gesellschaftlichen Realität wird das wenig zu tun haben. Die Republikaner halten sich derzeit noch ein wenig zurück, weil es Trump und seine Anhänger bei dem Sturm auf das Kapitol aus ihrer Perspektive dermaßen übertrieben haben. Aber bald wird es eine Rückkehr zur Normalität geben - zur erbitterten Schlammschlacht zwischen Republikanern und Demokraten.
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