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Die Exzesse der Eltern
Politisch und feministisch: Elsa Koesters Generationenroman »Couscous mit Zimt«
Elsa Koesters Generationenroman mit dem ziemlich sujetfremden, weil fälschlich auf Pittoresk-Folkloristisches weisenden Titel »Couscous mit Zimt« braucht keine Männer, um mit reichlich Drama aufzuwarten. Dafür sorgen die Frauen, die im Zentrum des Buches stehen, schon allein. Vermutlich ist der Debütroman der »Freitag«-Redakteurin über die konfliktreiche Beziehung zwischen der Großmutter Lucile, der Tochter Marie und der Enkelin Lisa autobiografisch geprägt. Gut daran ist, dass so große Detailkenntnis und Beziehungstiefe die Geschichte prägen, schlecht jedoch, dass es mitunter etwas ins Sentimentalische abgleitet.
Lucile war eine französische Siedlerin in Tunesien. Marie wurde dort geboren und begriff den Mittelmeerraum immer als ihre genuine Heimat, die sie verlor, als Lucile mit Mann und Kindern im Gefolge der tunesischen Unabhängigkeit nach Frankreich zurückkehrte. Nun sind beide gestorben, Marie, die aus der schwierigen Beziehung zur gefühlskalten Lucile frühzeitig ausbrach und nach Berlin zog, schon etwas eher als ihre Mutter, die ganze 100 Jahre alt wurde. Der Tochter und Enkelin Lisa obliegt es nun, die geerbte Pariser Eigentumswohnung aufzulösen und zu verkaufen. Dabei wird die ganze tragische Geschichte der Familie Bellanger wieder wach.
Erzählt wird der Roman vornehmlich als fiktives Zwiegespräch zwischen der Mutter Marie und der Tochter Lisa. Teilweise schalten sich auch die Großmutter Lucile und andere Familienmitglieder in den Diskurs ein wie Lisas Cousine Charlotte oder ihre Tante Solange, Maries Schwester, deren Perspektiven die Erzählungen Maries konterkarieren. Dabei wird sehr viel Alltägliches wiedergegeben, etwa wie die Schokocroissants in der Bäckerei um die Ecke schmecken oder wie Lisa oder Marie da und da langgehen, dabei dies oder das denken oder empfinden. Auch die Beziehungsproblematik wird mitunter zu weitschweifig verhandelt, vieles wiederholt sich.
Dem Buch hätte es genützt, wenn hier einiges ausgedünnt worden wäre. Denn der zentrale Konflikt selbst ist sehr intensiv und bedrückend, man kommt seinem Kern aber zu langsam auf die Spur - die zweite Hälfte des Buches ist mitreißender und stringenter geschrieben. Neben dem Verlust ihrer Identität, den Marie, herausgerissen aus der für sie glücklich empfundenen Kindheit in Tunesien, verspürt, besitzt die Beziehung zu Lucile traumatische Komponenten. Die überaus dominante und selbstständige Mutter hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie sich keine Kinder gewünscht hatte. Besonders Marie lässt sie das spüren. Als der Vater Claude bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt, holt Lucile Marie in ihr Bett und missbraucht sie. Das behauptet jedenfalls Marie. Solange allerdings, die selbst im Alter an einer schweren Angstneurose leidet, bestreitet das gegenüber Lisa. Sicher ist aber, dass Lucile Marie zu einer Abtreibung gezwungen hat, als diese mit 20 Jahren ungewollt schwanger wurde. In der Folge ist beider Verhältnis von abgrundtiefem Hass und Liebe zugleich erfüllt.
Marie ist ein starker Charakter, sie erlebt den Pariser Mai 1968 als persönliche Befreiung. Sie ist unbürgerlich, impulsiv und leidenschaftlich, aber auch stark ich-bezogen. Insofern ist das Buch auch die Auseinandersetzung mit einer typischen 68er-Mutter, die Lisa, als vermutliches Alter Ego der Autorin, hier anstrengt. Wiederkehrendes Prinzip solcher Beziehungen ist gemeinhin, dass sich nicht so sehr die Eltern um die Kinder kümmern, sondern umgekehrt die Kinder die Extravaganzen und Exzesse der Eltern auszugleichen haben. Hier ist es der krasse Alkoholismus Maries, der Lisa immer wieder in unlösbare Problemlagen versetzt. Der Höhepunkt ist, als Marie in Nizza einen Selbstmordversuch unternimmt, den Lisa, gerade mitten in ihren Abiturprüfungen, von Berlin aus nur mit Mühe verhindern kann. Grund dafür ist, dass Marie, nun schon in reiferem Alter, einen neuen Versuch gemacht hat, die Beziehung zur inzwischen 90-jährigen Mutter Lucile zu kitten und dazu in deren Pariser Wohnung eingezogen ist - was erneut in eine Katastrophe mündet.
Trotz der Konzentration auf die Familiengeschichte ist »Couscous mit Zimt« ein politischer Roman. Marie berichtet, durchaus kritisch, von ihren teils berauschenden, teils ernüchternden Erfahrungen im Pariser Mai. Das wird parallel geführt mit Lisas Beteiligung an den Studentenprotesten Nuit Debout 2016. Diese Problematik gebrochener Identitäten durchzieht das gesamte Buch, das auch mit klaren Wertungen nicht spart. Und dass es nicht zuletzt immer auch um die authentische Verwirklichung als Frau geht, liegt natürlich auf der Hand.
So nachvollziehbar Maries psychologisches Profil ist, mit ihren Kindheitsverletzungen, dem Identitätsverlust, der Abtreibung, wird dennoch im Verlauf der Erzählung nicht ganz klar, wie aus dieser gefühlsstarken, selbstbewussten und autonomen Frau der 68er-Zeit das alkoholkranke Wrack werden konnte, als das sie endete. Hier fehlt ein Teil der charakterlichen Entwicklung. Auch die Zeit von Lisas Kindheit bleibt weitgehend ausgespart. Man erfährt, dass nur Marie gearbeitet hat, um der Familie das Auskommen zu ermöglichen, nicht der Vater, aber man erfährt nicht, wodurch. Das wäre wichtig, um zu verstehen, wie das überhaupt mit Maries Kompromisslosigkeit und später eben der Krankheit in Einklang zu bringen war.
Elsa Koester: Couscous mit Zimt, Frankfurter Verlagsanstalt, 446 S., geb., 24 €.
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