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Money? Money!
Über Geld spricht man nicht? Sollte man aber
Ein Thema, über das ich immer wieder schreiben möchte, bei dem ich aber ständig mit mir selbst hadere - zu schreiben beginne, mittendrin aufhöre und alles lösche, nur um dann wieder von vorne anzufangen -, ist das Thema Geld. Geld? Aber über Geld spricht man nicht!
Wenn dem so ist, dann frage ich euch: Wie kann es sein, dass der ABBA-Song »Money, Money, Money« in Deutschland so erfolgreich war? Sogar so erfolgreich, dass er im Jahre 1976 ganze 23 Wochen auf Platz eins der Singlecharts war und laut Wikipedia schätzungsweise über 450 000 Mal verkauft wurde. Was sagt uns das? Dass Deutsche gerne Lieder über Geld hören, weil sie dann nicht über das Thema reden müssen?
Wie oft habe ich auf Betriebsfesten erlebt, dass über alles Mögliche geredet und gelacht wird - aber wenn es um das Thema Gehalt geht, starren sich alle plötzlich schweigend an. Paul, vor drei Minuten hast du uns allen noch im Detail geschildert, wie du letztes Jahr auf dem Sommerfest betrunken auf die Nase geflogen bist, nachdem du sehr über einen sexistischen Witz eines Kollegen lachen musstest. Aber über Geld zu sprechen ist dir unangenehm?
Auf einem Blog las ich, Deutsche würden nicht gerne über Geld reden, weil das als »protzig« empfunden wird. Wer über Geld redet, sei gefühlskalt oder gar geldgierig. Ich habe da eine ganz andere These: Ich glaube, Deutsche reden nicht über Geld, weil sie genau wissen, wie ungerecht Geld verteilt ist. Viele von ihnen wissen auch genau, dass sie das Geld, das sie für ihre irrelevante »Arbeit«, zum Beispiel in einer Bank oder einer Consulting-Firma, verdienen, eigentlich gar nicht verdient haben. Und gerade jetzt, während der Pandemie, wenn sie sich in ihrer Altbauwohnung (Eigentum, natürlich) im Westend einer beliebigen deutschen Stadt im sicheren Homeoffice befinden, während andere immer noch jeden Tag in die Fabriken oder auf Baustellen gehen müssen, und damit ihre Gesundheit, die Gesundheit ihrer Kolleg*innen und Familien gefährden - gerade jetzt wird ihnen bewusst, wie gut es ihnen eigentlich geht.
Denn wenn ich die letzten zehn Monate beschreiben müsste, dann ist da diese Szene, die ich in den unterschiedlichsten Versionen, die sich letztlich doch alle ähneln, immer wieder im Fernsehen sehe: Zwei-Kind-Familie; sie sitzen bei den Hausaufgaben, beim Mittagsessen oder Malen an einem großen Holztisch. Der Vater macht irgendeinen superwichtigen Bürojob, die Mutter ist Architektin. Beide arbeiten seit Covid-19 überwiegend von zu Hause. Das Au-pair musste leider gehen. Kinderbetreuung sei schwierig. Sie könnten ja nicht den ganzen Tag im Garten spielen oder im Haus rumtoben. Ich muss ein wenig lachen. Dieses Leben im Fernsehen, diese Familie - ist das echt? Diese Kinder haben nicht nur eigene Zimmer, sondern ein eigenes Stockwerk.
Beim Lesen meiner eigenen Zeilen frage ich mich, ob ich vielleicht nicht doch Neid verspüre. Ich hatte nie ein eigenes Zimmer. Für mich allein. Ich freue mich für diese Kinder, bezweifle aber, dass es die Lebensrealität vieler Kinder in Deutschland widerspiegelt. Wo bleiben die Reportagen über die Familien, die in Hamburg-Wilhelmsburg oder Frankfurt-Sossenheim leben? Über die Familien in den Geflüchteten-Unterkünften? Von eigenen Zimmern träumen die meisten nur, und Social Distancing ist auch nach knapp einem Jahr Pandemie nicht möglich (gemacht worden).
Wie geht es eigentlich wohnungslosen Menschen während der Pandemie? Kein cooles Thema für das Mittagsmagazin? Dann müsste man wieder über Geld sprechen, und das tun Deutsche nicht so gerne. Sie sprechen nicht so gerne über steigende Mieten, über Armut, prekäre Beschäftigung und über Hartz IV. Wenn sie ehrlich darüber sprechen würden, müssten sie gestehen, dass sie arme Menschen hassen. Oder wieso wehrt sich die Union gegen die Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes? 600 Euro zum Leben. Jeden Monat. Während einer Pandemie. Das ist der CDU/CSU zu viel. Man kann von ABBA halten, was man will, aber sie hatten recht: Geld muss spaßig sein. In der Welt der Reichen.
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