Homeschooling in der Kreidezeit

Bloßes Aufgabenabwerfen im Distanzunterricht stellt viele Familien vor Probleme, die Linke will helfen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.
Wenn Papa an seine Grenzen kommt: Luke aus Hohenschönhausen mit einem Mitarbeiter der Linke-Abgeordneten Ines Schmidt nd/Ulli Winkler
Wenn Papa an seine Grenzen kommt: Luke aus Hohenschönhausen mit einem Mitarbeiter der Linke-Abgeordneten Ines Schmidt nd/Ulli Winkler

Es ist natürlich verlockend, wenn du zu Hause vor dem Computer sitzt und was für die Schule machen sollst, und dann fragt dich ein Kumpel, ob wir eine Runde zocken wollen«, berichtet der 14-jährige Luke. Der schlaksige Teenager besucht die 9. Klasse einer Sekundarschule im Lichtenberger Ortsteil Neu-Hohenschönhausen, die wie alle Berliner Schulen pandemiebedingt seit Mitte Dezember geschlossen ist.

Auf Nachfrage, wie es denn bei ihm läuft in Sachen »schulisch angeleitetes Lernen von zu Hause« sagt Luke: »Unser Direktor legt noch sehr viel Wert auf Kreidetafeln.« Anders ausgedrückt: Das »schulisch angeleitet« kommt zumindest bei ihm ordentlich zu kurz. Erst ganze drei Videokonferenzen habe er seit Mitte Dezember gehabt. Im Grunde beschäftige er sich mit Arbeitsblättern – oder eben auch nicht. »Da es so gut wie keine Videokonferenzen oder Ähnliches gibt, stehe ich so zwischen zehn und elf auf, und dann sitze ich bis abends am Computer.«

Immerhin, Luke und seine zwei Jahre jüngere Schwester haben einen eigenen Rechner. Dazu gibt es im Haushalt einen Drucker und einen uralten Scanner – beides unverzichtbare Gerätschaften, »für meine Schwester noch mehr als für mich«, wie Luke sagt. Denn darauf läuft es in ihrem Schulalltag nach wie vor hinaus: Arbeitsblätter ausdrucken, die bearbeiteten Seiten einscannen und per Mail zurückschicken. Zwar scheint, abgesehen von Problemen mit der Lernplattform des Landes, an vielen Berliner Schulen das Homeschooling inzwischen weitaus besser und vor allem digitaler zu funktionieren als beim ersten Lockdown im Frühjahr vergangenen Jahres. An manchen Schulen hält man aber offenkundig am althergebrachten Prinzip des semidigitalen Aufgabenabwerfens fest.

»Drucker, Scanner – wer hat das denn überhaupt zu Hause?«, fragt die Linke-Abgeordnete Ines Schmidt, die ihren Wahlkreis in Neu-Hohenschönhausen hat. Wie mittlerweile mehr als ein Dutzend weiterer Landes- und Bundespolitiker der Linkspartei hat auch Schmidt jetzt ihr Wahlkreisbüro für Schüler geöffnet, denen zu Hause ohne vernünftiges WLAN, Drucker oder Scanner die technischen Grundvoraussetzungen für den auf ein digitales Minimum reduzierten Distanzunterricht fehlen. Oder für Jungs wie Luke, der bei Schmidt im Büro sitzt und sagt: »Ich bin heute hier, um mir einfach bei ein paar Aufgaben helfen zu lassen, und weil mir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt.«

Schmidts Räume an der Zingster Straße, die sie sich mit ihrem Fraktionskollegen Wolfgang Albers und der Linke-Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch teilt, sind nicht riesig. Vier Schüler können hier aber durchaus in unterschiedlichen Räumen mit Sicherheitsabstand und allen dazugehörenden Hygienemaßnahmen gleichzeitig arbeiten, sagt Schmidt. »Spätestens jetzt, wo auch noch die einzige Bibliothek im Viertel schließen musste, fehlt ihnen jeder Rückzugsraum. Das ist doch für sie alles nur monoton.« Und dann die Herausforderung mit dem Distanzunterricht. »Wir haben hier in Hohenschönhausen viele Eltern, die ihren Kindern beim Homeschooling nicht weiterhelfen können«, sagt Schmidt.

Tatsächlich hat die Großwohnsiedlung rund um das Linden-Center am Prerower Platz keinen leichten Stand. Ein hoher Anteil der Anwohner lebt von Transferleistungen oder verfügt nur über ein geringeres Einkommen, über 40 Prozent der Eltern sind alleinerziehend. So auch der Vater von Luke. Der 45-Jährige, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, arbeitet in Vollzeit als Heilerziehungspfleger. Um 4.40 Uhr geht’s zum Frühdienst, gegen 14 Uhr ist er wieder zu Hause. Seine Kinder, sagt er, versuche er nach Kräften beim Homeschooling zu unterstützen. »Aber dass ich zur Schule gegangen bin, ist ja auch schon ein bisschen her. Ich kann keinen Lehrer ersetzen, auch zeitlich nicht.«

Lukes Vater, selbst Linke-Mitglied, sagt zu dem Angebot von Schmidt und ihren Fraktionskolleginnen und -kollegen: »Das ist doch für die Schüler, aber auch die Eltern eine total coole Nummer.« Nicht zuletzt, weil er sich von den Schulleitungen seiner Kinder »ziemlich alleingelassen« fühlt. Für den Ausdruck der Arbeitsblätter seiner Tochter habe er allein in den zurückliegenden Wochen um die 50 Euro für Druckerpatronen ausgegeben. Schwerer wiege aber noch, dass er das Gefühl habe, »dass meinen Kindern die Tagesstruktur verloren geht«. Schon deshalb sei es gut, wenn Kinder wie Luke tagsüber einen Ansprechpartner hätten. »Corona schlägt denen doch auf den Kopf. Das desozialisiert total.«

Auch Luke selbst betont im Gespräch mehrfach die Langeweile beim Distanzlernen. Die Kontaktbeschränkungen täten ihr Übriges. »Das letzte Mal habe ich vor einer Woche einen Kumpel getroffen.« Und was die Unterstützung bei den Schulaufgaben angeht, sei sein Vater ebenso wenig eine Hilfe wie die kaum erreichbaren Lehrkräfte: »Wenn ich bei Papa mit Mathefragen ankomme, kommt er an seine Grenzen.« Das gehe anderen Freunden genauso.
Schon deshalb hofft Linke-Politikerin Ines Schmidt, dass sich das Angebot an die Schüler schnell herumspricht und angenommen wird. Den Vorwurf, dass es sich dabei um eine Wahlkampfaktion ihrer Partei handele, lässt sie nicht gelten: »Was für ein Schwachsinn! Das ist mir einfach total wichtig, für die Nachbarinnen und Nachbarn da zu sein. Das weiß jeder, der mich kennt.«

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