- Politik
- Michael Kretschmer
Eine »schöne Veranstaltung« mit Coronaleugnern
Reden mit Rechten und mit den Lautesten: Kritik an Gesprächspolitik von Sachsens CDU-Regierungschef Michael Kretschmer
Es war ein Übergriff: An einem Sonntag Anfang Januar marschierte eine Gruppe Coronaleugner vor dem Privathaus von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer im Zittauer Gebirge auf. Der CDU-Mann schippte Schnee. Die ungebetenen Gäste hatten ein Schild dabei, das durchaus bedrohlich wirkte: »Wer Völkermord begeht, hat das eigene Lebensrecht verwirkt!« Kretschmer ließ sich dennoch auf eine Diskussion ein, widersprach den kruden Thesen à la »Es ist noch keiner an Corona gestorben« entschieden – und lud, bevor er das Gespräch wegen eines Mundschutzes im Design einer Reichsflagge beendete, zur Debatte an anderem Ort ein: »Wir machen eine schöne Veranstaltung!«
Die findet nun an diesem Freitag statt, online und bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. »Fakten statt Fake News« heißt das Format, das die Corona-Krise »am Beispiel des Dreiländerecks« beleuchten will. Gesprächspartner sind neben Kretschmer auch der Rathauschef von Zittau, die Leiterin eines Görlitzer Pflegeheims, in dem 30 Prozent der Bewohner an Covid-19 gestorben sind, und der ärztliche Leiter des Klinikums Oberlausitzer Bergland. Er hatte vor Weihnachten mit Äußerungen über »Triage« für Wirbel gesorgt, als es um die hohe Zahl an Intensivpatienten und die mögliche Entscheidung ging, welche bei knappen Ressourcen behandelt werden.
Die Veranstaltung stößt auf Kritik, weil offenbar explizit die Coronaleugner eingeladen wurden. Im Netzwerk Telegram kursiert in der nicht öffentlichen Gruppe der »Corona Rebellen Sachsen« der Screenshot einer Mail aus der Staatskanzlei mit einem Terminvorschlag. Das berichtete zuerst das »Redaktionsnetzwerk Deutschland«. Die Administratorin der Gruppe soll auch an den Protesten an der B 96 beteiligt sein und für eine rechtsextreme Splittergruppe Spenden verwalten. Die Staatskanzlei betont auf dem Twitterkanal Kretschmers, das Angebot richte sich »an alle Bürgerinnen und Bürger, nicht nur an eine bestimmte Gruppe«. Das Grünenpolitiker Jürgen Kasek kritisiert dagegen, mit der Einladung an die Coronaleugner »legitimiere« Kretschmer das Aufsuchen von Politikern an deren Privatadresse: »Ein fatales Signal«. Der Journalist Michael Kraske, Autor des Buches »Der Riss. Wie die Radikalisierung im Osten unser Zusammenleben zerstört«, spricht von einem »Affront gegen alle, die sich für demokratische Strukturen und Umgangsformen einsetzen«. Linksfraktionschef Rico Gebhardt sagt, Kretschmer solle »seine Zeit sinnvoller nutzen, als mit Leuten zu reden, die seinen Argumenten sowieso nicht zuhören«.
Das aber versucht dieser, seit er das Amt Ende 2017 übernahm – mit dem Ziel, in Richtung AfD abgewanderte Wähler zurück zu gewinnen. Bei der Landtagswahl 2019 hatte das Erfolg: Die CDU blieb knapp stärkste Kraft, vor allem dank Kretschmers Einsatz. In der Corona-Krise wirkt die Gesprächspolitik indes zunehmend befremdlich. Im Mai versuchte er, ohne Maske, mit Coronaleugnern im Großen Garten in Dresden zu diskutieren, und wurde bepöbelt. Im Sommer empfing er den Mediziner Sucharit Bakhdi, der die Gefährlichkeit von Corona bestreitet und gegen Maßnahmen wie die Maskenpflicht zu Felde zieht, sowie weitere Mitstreiter eines von ihm geleiteten Vereins zum Gespräch in Sachsens Staatskanzlei. Unlängst telefonierte er mit einem Dresdner Gastwirt, der in einem Video die zögerliche Auszahlung von Hilfsgeldern kritisiert hatte. Laut dem Blog »Sächsische Verhältnisse« ist er gut in der Reichsbürgerszene vernetzt. Kretschmer rede »mit vielen Bürgern, aber nicht unbedingt mit den richtigen«, resümiert Stefan Hartmann, Landeschef der Linken: »Er redet nicht mit denen, die besonders betroffen sind, sondern mit denen, die besonders laut sind.«
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!