Linke: Mit Schnelltests öffentliche Räume zurückerobern

Linke-Gesundheitspolitiker Wolfgang Albers will keinen härteren Lockdown und erklärt, warum die Covid-19-Klinik in der Berliner Messe ein Fehler war

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 6 Min.

Zu Beginn der Corona-Pandemie haben Sie vor zu viel Panikmache gewarnt. Wie sehen Sie das heute?

Davon ist nichts zurückzunehmen. Ich habe von Anfang an einen pragmatischen Umgang mit dieser als neu geltenden Infektionskrankheit gefordert. Aus ärztlicher Sicht handelte es sich zwar um eine Erkrankung, die bis dahin noch weitgehend unbekannt und auch nahezu unerforscht war, schon deswegen musste man sie ernst nehmen. Aber es gab auch keinen Grund, sie zu dämonisieren. Ich gebe jedoch zu, dass ich damals die spätere Dynamik unterschätzt habe. Für mich war die Debatte von Anfang an viel zu emotionalisiert und teilweise auch von irrationalen Ängsten bestimmt, auch durch die Art der Berichterstattung in den Medien und die Bilder aus Italien.

Wolfgang Albers
Der Chirurg war von 2007 bis 2011 stellvertretender Landesvorsitzender der Berliner Linken. Seit 2012 ist er Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz im Berliner Abgeordnetenhaus, dessen Mitglied er seit 2006 ist. Mit dem 70-Jährigen sprach für »nd« Claudia Krieg. 
Wolfgang Albers 

www.die-linke-reinickendorf.de
Wolfgang Albers www.die-linke-reinickendorf.de

Ist es bei einer derart ansteckenden Krankheit nicht auch angeraten, zu warnen?

Sicher, aber die Frage ist doch, wie das geschieht. In allen Nachrichten wurden täglich die Infektionszahlen addiert. Alle warnten vor »italienischen Verhältnissen«. So wurde ein Infektionsgeschehen suggeriert, das der klinischen Wirklichkeit bei uns nicht entsprach. Das italienische Gesundheitssystem ist mit dem deutschen nicht zu vergleichen. So werden dort zum Beispiel Blutuntersuchungen oder Rachenabstriche nicht von Hausärzten gemacht, sondern die Patienten werden dafür in eine lokale Blutabnahmestelle oder gleich in die Klinik geschickt. Dort trafen sie dann auf Infizierte und steckten sich an. Oder in den Notzelten vor den Krankenhäusern, die errichtet wurden, um den Ansturm verängstigter, aber auch tatsächlich erkrankter Patienten zu bewältigen. Auch die deutlich geringeren Intensivkapazitäten machen beide Systeme unvergleichbar. Das Virus ist überall das gleiche. Die »italienischen Verhältnisse« sind der Beleg dafür, dass die Gefahr, die von einer Pandemie ausgeht, vor allem von den Bedingungen abhängig ist, unter denen der Auslöser seine Wirkung entfalten kann. Aber darüber wurde nicht geredet.

Die Debatte um die Ausbreitung, die möglicherweise zu einer Überlastung unseres Gesundheitssystems führen kann, ist – wie man aktuell sieht – aber ja nicht zu Unrecht geführt worden.

Nein, das Coronavirus hat zweifellos ein hohes Ansteckungspotenzial. Das haben uns Virologen und Epidemiologen mit ihren Modellrechnungen zur möglichen Ausbreitung des neuen Erregers deutlich gemacht. Das war sicher richtig und wichtig, denn daraus leiten sich die notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen ab. In dem Zusammenhang war jedoch immer nur von der drohenden Überlastung der Kliniken die Rede. Aber eine wichtige Rolle spielte bei uns die funktionierende ambulante Versorgung – die uns eben von den »italienischen Verhältnissen« unterscheidet. Es gab in Berlin im ersten Halbjahr 2020 mehr als 262.000 coronabedingte ambulante Arzt-Patienten-Kontakte, das wurde aber kaum zur Kenntnis genommen. Natürlich steigt mit zunehmenden Ansteckungszahlen auch die Zahl der schwerkranken Patienten. Natürlich gilt es, eine drohende Überlastung der Kliniken durch sinnvolle Infektionsschutzmaßnahmen zu verhindern. Aber nicht alle Maßnahmen, die verordnet wurden, erschienen zunächst plausibel. Doch man geriet sehr schnell in den Verdacht, die Lage nicht ernst zu nehmen oder das Virus zu verharmlosen, wenn man die Sinnhaftigkeit mancher Verordnung hinterfragte. Kritische Fragen zu stellen, heißt aber nicht, das Virus infrage zu stellen.

Berlin hat mit dem Corona-Behandlungszentrum auf dem Messegelände ein zusätzliches Krankenhaus eingerichtet. War diese Maßnahme übertrieben?

Man hat in der damaligen Situation ja nicht wirklich gewusst, wohin die Entwicklung geht. Man wollte vorsorgen. Ich habe das von Anfang an kritisiert. Ich halte es auch weiterhin für überflüssig. Vivantes hatte ja bereits vorsorglich 200 zusätzliche Betten im alten Krankenhaus Prenzlauer Berg eingerichtet. Auch andernorts vorgehaltene Betten waren nie ausgelastet. Ich denke, wir haben da viel Geld in ein Potemkinsches Dorf versenkt. Bis zum 31. Dezember 2020 beliefen sich die Gesamtkosten für die Messeklinik auf rund 40,2 Millionen Euro. Rund 92 Millionen Euro hatte das Parlament insgesamt bewilligt. Monatlich kostet uns das Ganze weiterhin rund 1,5 Millionen Euro. Ein leerstehendes Gebäude! Zum Glück auch weiterhin leerstehend, weil es nicht so viele Corona-Patienten gibt. Ohnehin würde für die Inbetriebnahme das nötige Personal fehlen. Um die 488 Betten in Halle 26 rund um die Uhr zu betreiben, bräuchte es rund 380 Pflegekräfte. Die Gesundheitsverwaltung hatte eigens einen Krisenpersonalpool zur Rekrutierung von Helfern eingerichtet und Fachkräfte aufgerufen, sich zu melden. Gemeldet hatten sich zuletzt 114 Helfer mit medizinischem Hintergrund, darunter aber nur 43 Pflegekräfte, 27 ohne Erfahrung auf einer Intensivstation.

Das Bündnis Klinikoffensive hat 300 Millionen Euro mehr Investitionen für die Berliner Kliniken gefordert. Nach zähen Verhandlungen hat der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) dann 200 Millionen für das Jahr 2021 zugesagt. Hätte man die 92 Millionen Euro nicht besser in die bestehenden Krankenhäuser statt in die Messeklinik investieren sollen?

Natürlich. Wir haben dort nach wie vor einen erheblichen Investitionsbedarf. Bei den letzten Haushaltsverhandlungen hieß es, mehr Investitionen für die Krankenhäuser seien unter keinen Umständen zu mobilisieren. Aber für die Messeklinik war das Geld plötzlich da.

Wie kann Berlin am besten die nächsten Wochen der Pandemie bewältigen?

Wir müssen jetzt die Menschen impfen. Die mit viel Aufwand eingerichteten Impfzentren können nur eine vorübergehende Lösung sein. Wir müssen schnellstmöglich die Impfung in die Arztpraxen verlagern. Dort kann dann problemlos niedrigschwellig und wohnortnah geimpft werden. Das dürfte nicht nur die Impfbereitschaft, sondern auch die Impfzahlen deutlich steigern. Darüber hinaus ist die Impfstrategie zu überdenken. Gleichzeitig mit den besonders Gefährdeten müssen auch diejenigen geimpft werden, die die Kranken in unseren Kliniken und Pflegeheimen versorgen. Bis wir mit der Impfung durch sind, brauchen wir zudem eine vernünftige Teststrategie. Das »Testen, Testen, Testen« der Gesundheitssenatorin ist keine Strategie.

Was wäre eine geeignete Strategie?

Die vorhandenen Schnelltests müssen gezielt als Torwächter eingesetzt werden, um Risikogruppen und sensible Bereiche zu schützen. Das Personal in den Krankenhäusern und den Pflegeheimen ist vor jedem Schichtbeginn zu testen. Da reichen nicht zwei oder drei Tests in der Woche. Wir müssen dann auch nicht mehr die Bewohner in den Pflegeheimen von ihren Angehörigen isolieren und Besucher fernhalten. Wir müssen sie nur vor dem Zutritt testen. Die verordnete Einsamkeit ist grausam. Zertifizierte Schnelltests können zudem Türöffner in die gesellschaftliche Normalität werden, mit denen wir uns die öffentlichen Räume nach und nach zurückerobern. Die Schulen und die Kitas, dann auch die Kultur- und Sporteinrichtungen, die Restaurants, ja und natürlich auch die Läden des Einzelhandels.

Was muss sich langfristig ändern?

Wir müssen unsere Krankenhäuser dauerhaft pandemiefest machen. Man kann mit relativ wenig Aufwand aus vorhandenen Stationen solche machen, die bei Bedarf in Infektionsstationen umgewandelt werden können. Indem man Schleusen einbaut und bewegliche Trennwände sowie Kontrollmöglichkeiten in den Zutrittsbereichen einrichtet. Das wäre eine nachhaltige Lösung auch für mögliche weitere Pandemiegeschehen. Momentan sind wir aber weit davon entfernt. Die Verluste der Krankenhäuser, die ihre Regelversorgung herunterfahren mussten, sind enorm und werden durch staatliche Hilfen bei weitem nicht ausgeglichen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf und hier ist auch der rot-rot-grüne Senat in der Verpflichtung. Der muss sich an die eigene Nase fassen. Immerhin war der Regierende Bürgermeister im Corona-Jahr 2020 Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz und seine Gesundheitssenatorin stand in dieser Zeit der Gesundheitsministerkonferenz vor.

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