Für viele reicht der Lohn nicht zum Leben
Über drei Millionen Menschen sind trotz Job von Armut bedroht
Die Corona-Pandemie und ihre finanziellen Auswirkungen treffen Menschen mit geringem Einkommen und diejenigen ohne Job besonders hart. Ihnen fehlt etwa Geld für Schutzausrüstung oder für die aktuell noch dringender als sonst benötigte technische Ausstattung, um digital am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Ausfall der Kinderbetreuung, krisenbedingter Jobverlust und nicht zuletzt die stark gestiegene Kurzarbeit tragen - vor allem bei Geringverdienenden - zur miesen finanziellen Lage bei. Aber schon vor Beginn der Coronakrise kratzten Millionen Menschen trotz Job an der Armutsgrenze.
Laut den am Donnerstag veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2019 acht Prozent der Erwerbstätigen ab 18 Jahren armutsgefährdet. Demnach waren insgesamt 3,1 Millionen Menschen trotz Job von Armut bedroht. Darunter fällt, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung auskommen muss. Im Jahr 2019 lag die Grenze für einen Single bei einem Nettohaushaltseinkommen von 1176 Euro im Monat. Für zwei Erwachsene mit zwei Kindern waren es 2469 Euro. Aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit geht zudem hervor, dass im Jahr 2019 mehr als eine Millionen Menschen so wenig Einkommen durch ihre Erwerbsarbeit hatten, dass sie mit Hartz IV aufstocken mussten.
Besonders viele der armutsgefährdeten Erwerbstätigen waren 2019 laut Statistischem Bundesamt Alleinerziehende. Über 22 Prozent von ihnen hatten ein zu niedriges Einkommen, um ohne Geldnöte leben zu können. Auch Menschen mit einem Real- oder einem niedrigeren Schulabschluss waren mit über 18 Prozent besonders häufig von Armut bedroht. Im Gegensatz dazu hatten Erwerbstätige mit bestandenem Abitur oder mit einem vergleichbaren Abschluss nur eine Armutsgefährdungsquote von 4,6 Prozent. Menschen ab 65 Jahren, die sich etwa ihre Rente durch Erwerbsarbeit aufbessern müssen, waren mit 15,4 Prozent wiederum mit höherer Wahrscheinlichkeit von Armut bedroht. Aber auch junge erwerbstätige Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren waren überdurchschnittlich hoch von Armut gefährdet.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern lag Deutschland 2019 mit der Armutsgefährdungsquote von acht Prozent etwa im Mittelfeld. Die geringste Armutsgefährdung von Erwerbstätigen gab es laut Statistischem Bundesamt mit nur 2,9 Prozent in Finnland. In Rumänien waren Erwerbstätige mit einem Anteil von 15,7 Prozent EU-weit am häufigsten von Armut bedroht.
Europaweit ging die Armutsgefährdung von Erwerbstätigen im Vergleich zum Jahr 2018 um etwa 0,3 Prozentpunkte zurück. In Deutschland sank die Armutsgefährdung unter den Beschäftigten mit einem Prozentpunkt etwas mehr. Trotzdem verdeutlichen die Zahlen: Arbeit schützt keinesfalls vor Armut. Viele Experten gehen zudem davon aus, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie besonders Menschen in ungesicherten und gering bezahlten Jobs wirtschaftlich getroffen hat. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass 2020 wieder viel mehr Erwerbstätige von Armut bedroht waren, als noch 2019.
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