Der Staat bleibt weiß

Rot-Rot-Grün in Berlin streitet über die Migrant*innenquote für den öffentlichen Dienst

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

In Berlin wird es wohl vorerst doch keine Migrant*innenquote für den öffentlichen Dienst und landeseigene Unternehmen geben. Die von Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) erarbeitete Novelle des Partizipations- und Integrationsgesetzes hatte ursprünglich eine Quote von 35 Prozent für Menschen mit Migrationshintergrund vorgesehen - eine bundesweit einzigartige Regelung, die von Migrant*innenorganisationen unterstützt wird. Schätzungen gehen davon aus, dass der Migrant*innenanteil in der Verwaltung zwölf Prozent beträgt - obwohl jede*r dritte Berliner*in einen Migrationshintergrund hat. Um das zu ändern, sah Breitenbachs Gesetzentwurf vor, dass gemäß ihrem Anteil in der Berliner Bevölkerung Menschen, die selbst oder von denen mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist, bei gleicher Qualifikation bei Einstellungen bevorzugt werden - so wie es bei Frauen und Menschen mit Behinderung bereits der Fall ist.

Die SPD sprach sich daraufhin gegen eine Quote für Migrant*innen aus - obwohl sie eine Frauenquote befürwortet. Insbesondere die Berliner SPD-Vorsitzende und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey ist dagegen. Ihr Parteikollege Innensenator Andreas Geisel hält die Quote sogar für verfassungswidrig. »Unser Grundgesetz sagt, niemand darf bevorteilt oder benachteiligt werden aufgrund seiner Herkunft, seines Geschlechts, Ethnie, Sexualität«, sagte Geisel dem »Tagesspiegel«. Im Koalitionsausschuss verständigte sich die rot-rot-grüne Koalition am Mittwoch dann darauf, dass die von Geisel geführte Senatsinnen- und die von Breitenbach geführte Senatsarbeitsverwaltung in den nächsten Tagen einen gemeinsamen Entwurf erarbeiten.

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Die Frage, ob eine Migrant*innenquote verfassungswidrig ist, ist dabei jedoch keineswegs so klar, wie Geisel behauptet. So kommt die Juristin Doris Liebscher in einem aktuellen Gutachten zu dem Ergebnis, dass Maßnahmen wie eine Migrant*innenquote für den öffentlichen Dienst nach Artikel 2 Absatz 2 der UN-Antirassismus-Konvention zulässig sind. Diese umfasse ausdrücklich auch die »Möglichkeit einer bevorzugten Einstellung bei gleicher Qualifikation«. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erlaube die unterschiedliche Behandlung von Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, wenn dadurch bestehende Nachteile verhindert oder ausgeglichen werden sollen.

Christine Lang forscht am Max-Planck-Institut zu multireligiösen und multiethnischen Gesellschaften und hat zum Thema interkulturelle Öffnung von Behörden promoviert. Sie hält eine Quote zwar für eine »heikle Sache« und das letzte Mittel, jedoch für durchaus geeignet, Druck auf die Verwaltung auszuüben, ihre Einstellungspraxis zu ändern. Das sei auch bitter nötig. »Jegliche Art von Diversität tut der Verwaltung gut, weil sie doch sehr weiß ist«, so Lang zu »nd«. »Das Ziel, den Anteil von Migranten in der Verwaltung zu erhöhen, gibt es schon seit 15 Jahren, passiert ist seitdem wenig.« Weichere Maßnahmen wie die Überprüfung von Rekrutierungs- und Bewerbungsverfahren oder der Anforderungsprofile sowie eine gezielte Ansprache von Migrant*innen hätten sich in der Vergangenheit als weitgehend wirkungslos bewiesen. »Ohne Druck läuft in der Verwaltung alles so weiter wie bisher.«

Und das führt dazu, dass diese längst nicht so divers ist wie die Stadtgesellschaft selbst. In einer Umfrage von Citizens For Europe im Auftrag des Senats aus dem Jahr 2018 gaben nur 10,6 Prozent der Führungskräfte in öffentlichen Einrichtungen in Berlin an, einen Migrationshintergrund zu haben. Der schließt jedoch auch Menschen europäischer und nordamerikanischer Herkunft mit ein, über Diskriminierungserfahrung ist damit also noch nichts gesagt. Laut der Umfrage waren rund 97 Prozent der befragten Führungskräfte weiß. Nur 0,6 Prozent bezeichneten sich als Schwarz und nur 1,9 Prozent als muslimisch - das sind viermal weniger als ihr Anteil in der Berliner Gesamtbevölkerung. Laut Bundesregierung sind Muslime, Schwarze, Sinti und Roma sowie die jüdische Gemeinde in besonderer Weise von rassistischer Diskriminierung betroffen. »Die Kategorie des Migrationshintergrundes ist eigentlich ungeeignet, um benachteiligte und diskriminierte Gruppen zu erfassen«, sagt die Soziologin Christine Lang.

Auch wenn aus der Quote nun vorerst wohl nichts wird, begrüßen Migrant*innenorganisationen, dass zum ersten Mal in Deutschland überhaupt politisch darüber diskutiert wird. Auch im Berliner Abgeordnetenhaus wurde am Donnerstagabend hitzig über die Quote gestritten. So bezeichnete die CDU den Vorschlag als »unnötig, unsinnig und schädlich« und bezweifelte, dass es überhaupt eine Diskriminierung von Migrant*innen gibt. Während die AfD sich in rassistischen Vorträgen verzettelte, geißelte die FDP den »Abschied von der Bestenauslese« - wohl wissend, dass die Bevorzugung nur bei gleicher Qualifikation stattfinden soll. »Eine Bestenauslese findet nicht statt, wenn Menschen mit türkischem Namen gar nicht erst eingeladen werden«, entgegnete daraufhin die Grünen-Abgeordnete Susanna Kahlfeld. »Menschen mit Migrationsgeschichte sind nicht dümmer oder fauler als ihre Mitmenschen, sondern aufgrund von Vorurteilen unterrepräsentiert«, stellte auch der Linke-Abgeordnete Hakan Taş klar. Elke Breitenbach war von der teils diskriminierenden Diskussion sichtlich mitgenommen und warf der CDU »Hetze« und die Verbreitung von Unwahrheiten vor. »Genau das führt dazu, dass wir in diesem Land strukturelle Diskriminierung haben und das werden wir nicht hinnehmen«, so Breitenbach mit vor Wut bebender Stimme.

Doch alle Geschlossenheit von Rot-Rot-Grün gegenüber der Opposition konnte letztlich nicht über die Zerrissenheit der Koalition bei dem Thema hinwegtäuschen. Während Linke und Grüne die Quote für eine rechtssichere Lösung für das Problem der Unterrepräsentation von Migrant*innen halten, stellte die SPD-Abgeordnete Nicola Böcker-Giannini klar: »Die Quote wird nicht kommen.«

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