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Entlassung aus U-Haft sorgt für Empörung
Staatsanwaltschaft geht gegen Entscheidung im Fall T. vor
Anlässlich des dritten Jahrestages des rechtsextremen Anschlags auf den Neuköllner Linke-Politiker Ferat Kocak und die Buchhandlung Leporello an diesem Montag kritisiert die Linkspartei die Arbeit der Sicherheitsbehörden. »Es ist ein absoluter Skandal, dass für diese Anschläge bis heute niemand gefasst und verurteilt wurde«, erklärt die Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert. Die Tatsache, dass ein mutmaßlicher Täter wieder frei herumlaufe, sei ein zusätzlicher Schlag für die Betroffenen. »Sie fühlen sich im Stich gelassen und leben weiter in Angst«, betonte Schubert. Das dürfe nicht sein. Die Parteivorsitzende forderte, dass die Sonderermittlungsgruppe, die Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) vor einiger Zeit eingesetzt hatte, jetzt endlich handfeste Ergebnisse liefern müsse. »Es muss endlich zu einer Anklage kommen«, so Schubert.
Die Linke will auch die Rolle der Sicherheitsbehörden genauer unter die Lupe nehmen. »Noch immer ist völlig unklar, was genau im Hintergrund passiert ist«, kritisiert Schubert. An viel zu vielen Stellen blieben große Fragezeichen. »Die Komplizenschaft von Teilen der Berliner Sicherheitsbehörden mit der rechtsextremen Szene muss mit Hochdruck offengelegt werden«, forderte Schubert. Dafür brauche es so schnell wie möglich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
Die Berliner Staatsanwaltschaft hat unterdessen nach dem Freikommen des Tatverdächtigen Sebastian T. in der rechtsextremistischen Anschlagsserie Beschwerde beim Kammergericht eingelegt, sagte Staatsanwaltschafts-Sprecher Martin Steltner bereits vergangenen Dienstag. Am Freitag zuvor war mitgeteilt worden, dass der Verdächtige T. aus der Untersuchungshaft entlassen und der Haftbefehl aufgehoben worden sei. Es gebe keinen dringenden Tatverdacht mehr, hatte das Landgericht Berlin entschieden.
Ein zweiter Verdächtiger, der ebenfalls in die zahlreichen Angriffe auf Antifaschistinnen und Antifaschisten verwickelt gewesen sein soll, ist ebenfalls frei. Gegen ihn war zwar auch ein Haftbefehl erlassen worden, er wurde aber von der Untersuchungshaft verschont. Gegen die Haftverschonung laufe noch das Beschwerdeverfahren, so Steltner. Gegen beide Männer, die kurz vor Weihnachten verhaftet wurden, werde aber weiter ermittelt, hieß es.
Das Landgericht Berlin hatte nach Angaben einer Sprecherin weder Spuren noch Beweise gesehen, die einen dringenden Verdacht für die Beteiligung von T. an dem Brandanschlag auf das Auto von Ferat Kocak rechtfertigten. Zwar hänge T. einer rechtsextremistischen Ideologie an und habe ein besonderes Augenmerk auf bestimmte politische Gegner gehabt. Aber das seien keine Gründe für einen Haftbefehl. Gegen T. werde parallel wegen Betrugsverdacht im Zusammenhang mit Corona-Soforthilfen ermittelt, hieß es.
Bei der Anschlagserie geht es um mindestens 72 Taten wie Brandstiftungen und Drohungen gegen linke Politiker und Initiativen vor allem zwischen 2016 und 2018. Die Polizei hatte jahrelang ohne Erfolg ermittelt. Die Verhaftung der beiden Männer aus der rechtsextremen Szene galt bei Ermittlern zunächst als Erfolg, die Freilassung von T. dann als herber Rückschlag. dpa/nd
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