Ein erotisches Schauspiel
Spaß und Verantwortung
Drei Jahre lang arbeitete ich als Käseverkäuferin auf verschiedenen Märkten in Berlin. Es war ein Nebenjob mit unverhältnismäßig vielen Nachteilen: Fünf Uhr aufstehen, zehnstündige Schichten, im Sommer in brütender Hitze und im Winter in eisiger Kälte - und dann auch noch völlig unterbezahlt.
Im Nachhinein bin ich überrascht, dass gerade ich - die zu körperlicher Faulheit neigt und kein Interesse an der Lebensmittelindustrie oder -zubereitung hat (sondern stattdessen eher Fast-Food-orientiert ist) - all diese Anstrengungen auf mich genommen habe.
Aber ich wusste ganz genau: Ich will Käseverkäuferin werden. Nicht Fleisch, Gemüse, Glühbirnen oder Staubsauger; Käse sollte das Feld meiner Expertise werden.
Eine intuitive Entscheidung? Sicherlich gab es auch soziale Motive, die den Job reizvoll machten - zum Beispiel eine Romantisierung anachronistisch anmutender Spezialisierung, wie sie im globalisierten Vertriebskontext kaum noch anzutreffen ist. Dennoch gab es ein Verlangen nach diesem stinkenden Material an sich, eine Anziehungskraft, die diese gealterte Milch auf mich hatte. Dasselbe Begehren beobachtete ich, hinter der Theke stehend, auch bei meinen Kund*innen. Heutzutage bin ich überzeugt, dass dieses Verlangen ein genuin Sexuelles ist.
Das Wort »Käse« kommt von dem lateinischen Wort »Caseus«, was »fermentiert« oder »sauer« bedeutet. Der Fermentationsprozess alter Milch wird hauptsächlich durch eine bestimmte Bakterienart erzeugt: Lactobacillus. Diese Säuerlichkeit zeigt sich nicht nur in den meisten Käsesorten, sondern auch im weiblichen Geschlechtsorgan. Die Vaginalflora enthält Mikroorganismen der gleichen Gattung, diese »probiotischen« Bakterien sind für den Selbstreinigungsprozess verantwortlich. Lactobacillen erzeugen einen spezifischen Geruch: Eine Vagina in guter gesundheitlicher Verfassung soll vielversprechend riechen, genauso wie Käse.
Auf diese Verwandtschaft aufmerksam geworden verstand ich meine Aufgabe als Käseverkäuferin plötzlich darin, Botschafterin der verborgenen Gelüste meiner Kund*innen zu sein. Besonders gerne bot ich winzige Stücke des Produkts zum Probieren an. Selten habe ich eine solche Vielfalt an Reaktionen gesehen zwischen Genuss und Widerwillen, zwischen Ekel und Lust. Da viele Menschen regelrecht »Angst« vor »strengem« Käse hatten, arbeitete ich mich häufig als beschwichtigende Reiseführerin von einem Zögern hin zu einem Erstaunen. Diese Überraschung wurde durch Anziehung abgelöst, welche wiederum durch eine Abneigung gegen die eigene (peinliche) Betörtheit ersetzt wurde - dem wiederum folgte eine Entscheidung: Entweder stellten sich meine Kund*innen dem eigenen schambehafteten Begehren oder sie lehnten es umso vehementer ab.
Mir bereitete das Beobachten dieser Affekte einen Hochgenuss, denn es war offensichtlich, dass sich mir ein erotisches Schauspiel bot.
Ein weiteres Problem war, die »richtigen« Worte zu finden, um das Erlebte zu beschreiben. Es gab eine animistische Tendenz in den Beschreibungen, die Leute sprachen über den Käse als etwas, das menschlich und lebendig war. Sie bezeichneten ihn als »er« oder »sie« (»Könnte ich auch ein klitzekleines Stückchen von ihm probieren?«), oder sie verwendeten Wörter wie »zart« oder »aufdringlich«.
Von meiner körperlich erhöhten Position aus, vom Podest des Marktstandes, war es meine Aufgabe, die Leute durch die Welten der gealterten Milch zu navigieren und zu versuchen, das käsige Verlangen in ihren zweideutig blickenden Augenpaaren zu erspüren. Es war ein fast therapeutischer Akt - ich half ihnen auf die subtilste Weise, das zu akzeptieren, wonach sie sich unbewusst sehnten und die Ununterscheidbarkeit der Kategorien von Lust und Ekel zu bejahen.
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