- Politik
- Waffenerlaubnis für Neonazis
Entwaffnung wäre die Antwort
Behörden zählen mehr Neonazis und Rassisten mit Waffenerlaubnis
Nach den rechtsterroristischen Anschlägen von Hanau und Halle sowie dem Mordanschlag auf den CDU-Politiker Walter Lübcke sollte man eigentlich meinen, dass gegenüber militanten Neonazis in Deutschland der staatliche Wind rauer wehen würde. Manche Fakten könnten jedoch einen ganz anderen Eindruck vermitteln: Die Zahl der den Behörden bekannten extremen Rechten mit Waffenerlaubnis ist so 2020 nicht gesunken, sondern sogar deutlich angestiegen. Wie die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mitteilt, hatten die Sicherheitsbehörden Ende Dezember bundesweit rund 1200 tatsächliche oder mutmaßliche Neonazis auf dem Schirm, die legal Waffen besaßen - ein Anstieg um knapp 35 Prozent im Vergleich zu Ende 2019. Weiterhin verfügten zu diesem Zeitpunkt 528 Unterstützer der Reichsbürgerszene über eine entsprechende Erlaubnis.
Diese Zahl kann nun unterschiedlich interpretiert werden. Aus Sicht der Linkspartei zeigt sie klar das enorme Gewaltpotenzial der extrem Rechten auf. »Der massive Anstieg von legalem Waffenbesitz bei Neonazis ist alarmierend und belegt die steigende Bedrohung, die von Neonazis und Rassisten ausgeht«, erklärte die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner. Nach den Attentaten von Hanau und Kassel wäre die richtige Konsequenz die Entwaffnung dieser Gruppen gewesen, führte die Politikerin aus. »Stattdessen zählen die Behörden durch.«
Die Sicherheitsbehörden selbst führen den Anstieg der Zahlen dagegen natürlich darauf zurück, dass sie noch genauer die Szene im Blick behalten würden - sowie auf die jüngste Novelle des Waffenrechts. Seit etwa einem Jahr gilt das neue Gesetz. Es sieht vor, dass bei der Beantragung der Erlaubnis und danach alle drei Jahre geprüft wird, ob der Interessent die dafür notwendige »Zuverlässigkeit und persönliche Eignung« besitzt - und dass auch automatisch beim Verfassungsschutz nachgefragt wird, ob der Waffenbesitzer aufgefallen ist. Umgekehrt ist es auch für den Inlandsgeheimdienst einfacher geworden, über eine Anfrage im Nationalen Waffenregister festzustellen, ob jemand über eine Waffenerlaubnis verfügt. Ein automatischer Abgleich mit dem Waffenregister ist bisher den Behörden offiziell nicht möglich.
Die nun stärkere Rolle des Verfassungsschutzes bei der Überprüfung sieht Renner dabei außerordentlich kritisch. »Die Einbindung des Geheimdienstes bei Erteilung von waffenrechtlicher Erlaubnisse wurde als Schritt zu mehr Sicherheit verkauft«, erklärte die Politikerin. »Der Verfassungsschutz stillt dabei nur sein Interesse nach Informationen und sein Mitwirken erschwert sogar gegebenenfalls die Verweigerung oder den Entzug von Waffen.«
Eine wahrscheinliche Teilbegründung für den massiven Anstieg dürfte darüber hinaus auch einfach darin liegen, dass der Verfassungsschutz mittlerweile den völkischen »Flügel« innerhalb der AfD beobachtet. Der Geheimdienst zählt dem Netzwerk rund 7000 Personen zu, womit die Gesamtanzahl der von der Behörde erfassten extremen Rechten seit 2019 um eben jene Gruppe auf über 32 000 gestiegen war.
Was die aktuellen Zahlen der Behörden derweil nicht widerspiegeln, aber ebenfalls berücksichtigt werden muss: Eine wachsende Zahl an Polizeibeamten, Soldaten und sonstigen Sicherheitskräften scheint sich längst in extrem rechten Netzwerken zu organisieren und selbst ein terroristisches Potenzial zu bilden. Nach zahlreichen Enthüllungen im vergangenen Jahr versucht die antifaschistische Kampagne »Entnazifizierung jetzt«, die Vorfälle systematisch aufzuarbeiten. Allein für den Zeitraum zwischen Mai und Dezember 2020 hatten die Aktivisten 150 Beispiele für rechte Umtriebe in Institutionen gesammelt. »Das sind nicht irgendwelche Amateure, mit denen wir es zu tun haben, sondern das sind potenziell hochgefährliche Menschen«, erklärte jüngst der Journalist und Experte für die extreme Rechte, Dirk Laabs, im Interview mit dem Deutschlandfunk zu rechten Netzwerken bei Behörden. »Wir befinden uns jetzt in einem Wettlauf: Wird man diese Menschen stoppen können oder eben nicht?«
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