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Arbeitnehmerrechte ohne Gewähr
2020 gab es in Brandenburg weniger Kontrollen von Unternehmen wegen Lohn- oder Sozialbetrug
Im vergangenen Jahr hat der Verfolgungsdruck auf jene Unternehmen in Brandenburg nachgelassen, die Arbeitskräfte ohne die notwendigen oder mit falschen Papieren beschäftigen, um so unter anderem die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohnregelungen zu umgehen. Das ergab eine Anfrage des Brandenburger Linke-Abgeordneten im Bundestag, Norbert Müller, an die Bundesregierung. Der Antwort aus dem zuständigen Bundesfinanzministerium zufolge hat die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Zollverwaltung 2020 insgesamt 1730 Arbeitgeberüberprüfungen in Brandenburg durchgeführt, das waren ungefähr ein Fünftel weniger als 2019 (2134).
Schwerpunkte bildeten auch 2020 Firmen im Bauhaupt- und Baunebengewerbe mit 413 Kontrollen (2019: 409), Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe mit 253 (403) sowie Spedition-, Transport- und Logistikgewerbe mit 110 (185) Überprüfungen. Darüber hinaus rückten die Ermittler auch die Abfallwirtschaft, die Pflegebranche, die Gebäudereinigung, die Landwirtschaft und das Personenbeförderungsgewerbe in den Fokus. Dabei fällt auf, dass den Zahlen der Finanzverwaltung zufolge auch fast ein Drittel weniger Ordnungswidrigkeitenverfahren durch die FKS eingeleitet wurden - und der Rückgang betrifft - mit Ausnahme der Landwirtschaft - sieben der insgesamt acht untersuchten Branchen.
Die Linkspartei in Brandenburg macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass es immerhin vor allem in der märkischen Agrarwirtschaft mehr Überprüfungen gab. »Es ist positiv, dass trotz Corona-Pandemie in der Landwirtschaft in Bezug auf Mindestlöhne häufiger nach dem Rechten gesehen wurde«, erklärte dazu Norbert Müller dem »nd« am Mittwoch. »Allerdings bedeuten 60 Betriebsprüfung im Jahr, dass rechnerisch nur alle 44 Jahre jeder Betrieb mal geprüft wird. Das macht es schwarzen Schafen besonders leicht mit Mindestlohnverstößen davonzukommen. Für die ehrlichen Landwirte ist dies ein ernsthafter Wettbewerbsnachteil.«
Vor der Gefahr, dass derlei scheinbare Erfolgsstatistik durchaus geeignet ist, die ihr zugrundeliegende Problematik zu verdecken, warnte auch Linke-Landesvize Martin Günther. »Die Prüfungen in der Landwirtschaft wurden mehr als verdoppelt. Die Anzahl der dabei aufgeflogenen Mindestlohnverstöße hat sich verfünffacht«, bestätigte er. Das zeigt aber auch deutlich, »dass es sich hier nur um die traurige Spitze des Eisberges« handle. »Betroffene von Mindestlohnverstößen brauchen eine noch leichtere Möglichkeit auch anonym Verstöße anzeigen zu können. Eine Öffentlichkeitskampagne der Landesregierung wäre hier hilfreich. Wir brauchen die gesellschaftliche Ächtung von Mindestlohnverstößen«, so Günther.
Die Zollverwaltung untersteht dem Bundesministerium der Finanzen. In ihrer Antwort auf die Anfrage der Linken verwies die Parlamentarische Staatssekretärin, Sarah Ryglewski, daher auf den infolge der Covid-19-Pandemie von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu bewältigenden erhöhten Aufwand zum Schutz der Beschäftigten und Personalausfälle aufgrund von Quarantänemaßnahmen. »Daher ist auch ein Vergleich der Zahlen des Jahres 2020 mit denen des vorherigen Jahres nicht aussagekräftig«, erklärte sie. Auch habe sich auf die Ermittlungen der FKS ausgewirkt, dass zahlreiche Branchen im abgelaufenen Kalenderjahr besonders stark von den Maßnahmen zur Pandemieeindämmung betroffen waren. Allerdings erklärt dies nicht, warum die Zahl der Arbeitgeberüberprüfungen in Brandenburg schon im Vor-Corona-Jahr 2019 gegenüber dem vorangegangenen Jahr um 148 zurückgegangen war. Darauf verweist auch der Bundestagsabgeordnete Norbert Müller. »Dass die Anzahl der Betriebsprüfung durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit letztes Jahr massiv gesunken ist, ist ja angesichts Corona verständlich. Allerdings waren sie bereits 2019 um knapp sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr rückläufig.« Rechnerisch seien, wie im Vorjahr, bei jeder achten Betriebsprüfung Mindestlohnverstöße aufgedeckt worden. Diese seien aber kein Kavaliersdelikt. »Jede und jeder Dritte in Brandenburg arbeitet im Niedriglohnsektor, viele zu Mindestlöhnen«, erinnert er.
»Mindestlohnverstöße sind ein mehrfacher Betrug an den Beschäftigten und an unserem Sozialstaat«, so Müller. Den Beschäftigten werde nicht nur Lohn vorenthalten, sie würden auch um ihre Rentenansprüche betrogen. »Dem Sozialstaat entgehen wichtige Einnahmen für die gute Renten, für gute Gesundheit und Bildung unserer Kinder.«
Aus Sicht von Linke-Landesvize Günther gilt es zu berücksichtigen, dass die im Zuge der Ermittlungen durch die Finanzkontrolleure des Zolls in Brandenburg aufgedeckten Verstöße nur ahnen lassen, wie weit verbreitet Lohn- und Sozialbetrug und Verstöße gegen das Mindestlohngesetz in Wahrheit sind. »Wenn Unternehmen rechnerisch nur alle 40 Jahre geprüft werden, wird sich daran auch nichts grundlegend ändern«, erklärte er. Die Landesregierung müsse mehr Druck machen für gute Löhne. »Wir fordern die Aufstockung des Arbeitsschutzes in Brandenburg. Verdachtsmomente für Mindestlohnverstöße müssen dann an den Zoll weitergegeben werden«, so Günther. Die Landesregierung müsse sich auch beim Bund für mehr Kontrollen des Zolls in Brandenburg einsetzen. Die schwarzen Schafe unter den Unternehmern dürften sich nicht sicher fühlen.
Und auch mit Blick auf den Umgang mit dem US-Unternehmen Tesla, dessen künftige Autofabrik in Grünheide das Land fördert, forderte er: »Die Landesregierung muss dazu beitragen, dass sich Unternehmen schämen, wenn Sie nicht zumindest Mindestlohn zahlen. Wir brauchen eine Unternehmenskultur in Brandenburg, in der man sich bei Geschäftsessen, im Rotary-Club, auf dem Golfplatz, dafür rühmt, seine Beschäftigten mehr als Mindestlohn und Tariflohn zu zahlen.«
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