Pieksen für Privilegierte

In mehreren Bundesländern lassen sich Klinikchefs und Bürgermeister vor Pflegern und Ärzten gegen Corona impfen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

»Erst die Chefs, dann das Volk«: Dieses nur scheinbar überholte Prinzip einer Klassengesellschaft gilt offenbar für die Reihenfolge beim Impfen gegen Covid 19 – zumindest in Niedersachsen, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen. Per Verordnung des Bundes ist nämlich festgelegt, dass über 80-jährige Menschen sowie Pflegekräfte und medizinisches Personal beim Impfen gegen das hochansteckende Virus hohe Priorität genießen. Zwei Manager des Klinikums Region Hannover scherten sich nicht um diese ihnen zweifellos bekannte Bestimmung. Sie ließen sich im Rahmen einer hausinternen Impfaktion die schützende Spritze verpassen, obwohl sie keinen direkten Kontakt zu Patienten haben. Geschehen konnte dies, so ließ das Klinikum verlauten, weil ein Verantwortlicher des ärztlichen Bereichs die Impfvorgaben nicht korrekt ausgelegt habe. Derzeit werde geprüft, ob es personalrechtliche Konsequenzen geben wird.

Solches Ungemach drohte auch dem Geschäftsführer des Klinikverbundes Aurich-Emden-Norden im niedersächsischen Ostfriesland. Der Mann hatte sich gegen Corona impfen lassen, noch bevor Ärzte und Pflegekräfte den Pieks bekamen. In einem offenen Brief hat er die alleinige Verantwortung dafür übernommen – und er scheint gerade noch am Rausschmiss vorbeigeschlittert zu sein: Sowohl der Auricher Landrat als auch der Emder Oberbürgermeister wollten, dass das Amt des Managers vorerst ruht. Der Aufsichtsrat des Klinikverbundes aber entschied: Der Mann bleibt.

Verärgert über ihn und die Manager in Hannover ist Niedersachsens Landesspitze. Regierungssprecherin Anke Pörksen nannte das Verhalten der Chefs »verwerflich« und »unsolidarisch«. Die vom Bund festgelegte Reihenfolge sei einzuhalten, hieß es des Weiteren von mehreren niedersächsischen Gesundheitspolitikern.

Nicht an diese Reihenfolge gehalten haben sich auch Verantwortliche in Sachsen-Anhalt: Sie ließen es zu, dass Kommunalpolitiker und rund 300 Polizisten vor Beginn der regulären Impfungen die Anti-Corona-Spritze erhielten. Zu den Bevorzugten gehören der Oberbürgermeister der Stadt Halle, Bernd Wiegand (parteilos), und zehn Mitglieder seines Stadtrates. Auch der Landrat von Wittenberg, Jürgen Dannenberg (Linke), und sein Stellvertreter Jörg Hartmann (CDU) sollen bereits geimpft worden sein. Aus übrig gebliebenen Impfdosen sei dies geschehen, heißt es aus dem Kreis der vorzeitig Immunisierten.

Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) erklärte, sie habe kein Verständnis für dieses Geschehen. »Wenn sich Politikerinnen und Politiker impfen lassen und agieren, als sei die Festlegung des Bundes nicht mehr als eine vage Empfehlung – das erschüttert auch mein Vertrauen zutiefst«, sagte die Ressortchefin.

Ähnlich unangenehm berührt ist die Spitzenpolitik in Hamburg. Dort sind bei der Feuerwehr und beim Roten Kreuz auch solche Führungskräfte gegen das Coronavirus geimpft worden, die nur im Büro tätig sind. Die Regierung in der Hansestadt sei »not amused«, war von einer Senatssprecherin zu hören.

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Verteidigt wird die Impfung der Schreibtischkräfte dagegen von den Verantwortlichen mit dem Hinweis: Es seien nach regulären Immunisierungen Restmengen des Impfstoffs geblieben, die nur eine bestimmte Zeit haltbar sind. Deshalb seien auch Menschen zum Pieksen geschickt worden, die noch nicht dazu vorgesehen waren.

Fast gleich klingt eine Rechtfertigung aus Nordrhein-Westfalen: In der unweit Bonn gelegenen Stadt Hennef hatte sich Bürgermeister Mario Dahm (SPD) mit dem Rest aus einer Senioren-Impfaktion spritzen lassen. Damit der Stoff nicht verfalle, argumentierte der Kommunalpolitiker. Flugs landete das Thema im Landtag, wo Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) scharfe Kritik an Vordränglern in der Impfkette übte und spöttelte: »Da gibt es einmal dieses Prachtexemplar eines Bürgermeisters in Hennef...«

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