Novi Sad,10 Grad unter Null
BallHAUS Ost
Als ich gestern meinen Waschbärbauch vor mich hin streichelte und draußen vor der Tür der deutsche Schneesturm wütete, flog ich in Gedanken nach Novi Sad im Jahr des Herrn 2019: Die Lage war katastrophal. Wir kamen mit dem Flixbus auf zweitägige Stippvisite aus Budapest, um Tage später das Belgrader Večiti derbi zu sehen. Weil Spielansetzungen auf dem Balkan einer eigenen Logik folgen, kam es nicht dazu, doch das wussten wir noch nicht, als wir in Novi Sad einfuhren. Am Abend sollte es im Stadion Karađorđe zum Punktspiel zwischen FK Vojvodina Novi Sad und FK Radnički Niš kommen. Norden gegen Süden heißt in Serbien auch immer: Serben gegen Shqiptari.
Karađorđe, der Namensgeber des Stadions, ist einer der Säulenheiligen des Serbentums. Er war der gewählte Anführer des Ersten Serbischen Aufstandes gegen das Osmanische Reich von 1804 bis 1813, sein abgeschlagener Kopf zierte 1817 die Pforte in Konstantinopel, nachdem er einer innerserbischen Intrige zum Opfer gefallen war. Manche haben eine andere Erklärung für seinen Tod. Es ist kompliziert, wie immer auf dem Balkan. Jedenfalls hat es Karađorđe bis in Serbiens Kochbücher geschafft: Heute wird ein Schnitzel nach ihm benannt.
In seiner Kolumne "Ballhaus Ost" blickt Frank Willmann alle zwei Wochen auf die Geschehnisse im Ostfußball - das wilde Treiben in den Stadien zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.
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An jenem Spieltag wollte die »Firma« (organisierte Supporter von Vojvodina Novi Sad), ihr 20-jähriges Bestehen feiern. Zu Gründungszeiten war die Firma stark vom Punk Rock geprägt, Novi Sad in den 80er Jahren Jugoslawiens Punkerhauptstadt.
Progressiver Punk in der serbischen Nationalistensuppe? Von westlichen Deutungsmustern muss man sich verabschieden, wenn man die Leute verstehen will. Sie haben ihre eigene Definition von Punk. Entweder man lässt sich darauf ein, oder steigt schnell in den Flieger nach London.
Als das Spiel begann, wehte ein kalter Wind, gefühlte 15 Grad minus. Wir waren in coole Turnschuhe und schicke Jäckchen gewandet, schließlich wollten wir ein paar Tage später durch Belgrad gockeln. Das Stadion romantisch marode, neben uns froren sich 500 Menschen auf der Haupttribüne den Hintern ab. Zu lokalen Punkrockklängen zeigten sich kurz vor Beginn weitere 200 Herren, die entweder Firma oder angereister Sympathisant waren. Schon mächtig in die Jahre gekommen, wurde spärlich Pyro gezündet und Liedgut intoniert, gleich zu Beginn der Schlachtruf: Shqiptari, Shqiptari, Shqiptari! Untermalt von der Behauptung: »Kosovo je Srbija«, Kosovo ist Serbien. In Ex-Jugoslawien ist Fußball immer Politik.
Ein gutes Dutzend Auswärtsfans betrat kurz nach Spielbeginn den Gästekäfig. In vielen Stadien der Region werden aus gutem Grund die Auswärtsfans von der Polizei ins und aus dem Stadion eskortiert, häufig sogar bis in den jeweiligen Heimatort, weil Überfälle bis kurz vor die Haustür keine Seltenheit sind. Die 15 tapferen Nišfans hatten nur eine Fahne dabei, eine serbischen Flagge, auf der stand: Kosovo je Srbija. Doch das nützte ihnen nichts. Wie jedes Kind in Novi Sad weiß, wohnen in Niš keine Serben, sondern nur Shqiptari - Albaner.
Bereits 1878 wurden die meisten Muslime aus Niš vertrieben, die Volkszählung 2002 listete 93,47 Prozent der Bewohner als Serben. Im Fußballkontext spielt das keine Rolle, so verzweifelt sich die Niš-Fans auch als wahre Serben präsentierten. Ihr einziger Schlachtruf: Kosovo je Srbija, wurde von den Locals gnadenlos ausgepfiffen. Fünf Minuten später rief die Firma Kosovo je Srbija, was die Tribüne mit tosendem Applaus erwiderte.
Dem Kältetod nah, entwichen wir nach Spielende in die angemietete Neubaubude, die uns einen wunderbaren Blick auf die Freiheitsbrücke über die Donau bescherte. Zwischen 1976 und 1981 erbaut, 1999 durch die Nato zerstört, bis 2005 wieder aufgebaut.
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