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Zoff um ein Stück Stoff
SPD hält an Kopftuchverbot fest, Linke und Grüne sind dagegen. Nun ist das Verfassungsgericht gefragt
Eigentlich hatte man den senatsinternen Streit um das Berliner Neutralitätsgesetz und das Kopftuchverbot für Lehrerinnen schon fast zu den Akten legen wollen, da flammte er nun wieder auf. Anlass war die Ankündigung von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) auf der Senatssitzung am Dienstag, eine juristische Niederlage vor dem Bundesarbeitsgericht im August 2020 nicht hinzunehmen und daher nun den Gang vors Bundesverfassungsgericht zu wagen.
Scheeres selbst äußerte sich bislang nicht zu ihrem Vorstoß. Umso lauter ist der Widerspruch aus den Reihen der Koalitionspartner. So nannte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) den Vorstoß von Scheeres im Anschluss an die Senatssitzung eine »sinnfreie Prozesshanselei«, mit der »die Novellierung des Neutralitätsgesetzes unnötig verschleppt werden soll«. Auch Linksfraktionschef Carsten Schatz spricht von einer »fragwürdigen Schwerpunktsetzung« der Bildungssenatorin. »Ich wundere mich, dass wir über den Gang von Karlsruhe reden statt über die Bedingungen für eine baldige Wiederöffnung der Schulen«, sagt Schatz zu »nd«.
Im Kern geht es bei dem Koalitionsgerangel um das im Neutralitätsgesetz verankerte Verbot, an öffentlichen Schulen, aber auch im Polizei- und Justizapparat religiöse Symbole im Dienst zu tragen, ganz gleich, ob Kopftuch, Kreuz oder Kippa. Im Sommer vergangenen Jahres hatte das Bundesarbeitsgericht schließlich der Klage einer Muslima stattgegeben, die sich diskriminiert sah, weil sie aufgrund ihres Kopftuchs nicht in den Schuldienst übernommen worden war. Schon damals hatten Grüne und Linke eine Novellierung oder Abschaffung des Neutralitätsgesetzes angemahnt; schon damals hatte Scheeres erklärt, sie werde den Gang nach Karlsruhe prüfen. Nun, fast ein halbes Erkundungsjahr später, soll es soweit sein.
Linke-Landesvorsitzende Katina Schubert sieht hierin vor allem ein Wahlkampfmanöver der SPD. »Mir scheint das Zeitschinderei zu sein, um mit dem Thema über den Wahltag zu kommen«, sagt Schubert zu »nd«. Angemessen wäre es, das Gesetz nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts anzupassen. »Aber das will Bildungssenatorin Scheeres offenbar um jeden Preis verhindern.« Bekanntlich ist der Umgang mit religiösen Symbolen in Schule und Verwaltung auch in der Linken nicht unumstritten. Ende 2019 hatte sich der Landesvorstand schließlich darauf verständigt, sich für die Aufhebung des Verbots einzusetzen, auch und vor allem mit Blick auf die mit dem Gesetz einhergehende potenzielle Diskriminierung muslimischer Frauen. »Das ist und bleibt unsere Position«, so Schubert.
Derweil ist die Schadenfreude bei der Opposition - allesamt wie die SPD Befürworter des »Kopftuchverbots« - nicht zu übersehen. Berlins CDU-Chef Kai Wegner mokiert sich am Mittwoch über »den unterirdischen Zustand der Koalition«, wobei der christdemokratische Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahlen im September insbesondere gegen die »politische Agenda« von Justizsenator Behrendt schießt. Insgesamt könne man an dem ganzen Vorgang aber vor allem eines sehen: »Rot-Rot-Grün ist mal wieder heillos zerstritten.«
Jetzt mal halblang, heißt es dagegen aus der Senatsbildungsverwaltung. Man wolle vor dem Bundesverfassungsgericht lediglich Verfahrensfehler während des Prozesses vor dem Bundesarbeitsgericht monieren. Und da gegen dessen Urteil im Februar die Einspruchsfrist ablaufe, müsse man jetzt aktiv werden. Das wäre schon alles. Scheeres’ Initiative, Verfassungsbeschwerde einzulegen, sei daher mitnichten eine Wahlkampfnummer, so ein Sprecher ihres Hauses zu »nd«.
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