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Große Show der Nord-Stream-Gegner
Grüne beantragen Aktuelle Stunde zur deutschen Russlandpolitik und zitieren Minister Scholz ins Plenum
Im Präsidium des Bundestags herrscht für einen Augenblick ratloses Schweigen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, hat soeben für ihre Fraktion beantragt, dass Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in das Plenum zitiert werden muss. Die Abgeordneten diskutieren am Mittwochnachmittag in einer von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde über die deutsche Russlandpolitik. Am Dienstag hat die Deutsche Umwelthilfe ein geheimes Schreiben des Finanzministers veröffentlicht, in dem dieser den USA im vergangenen Jahr Milliardenzahlungen im Gegenzug für einen Verzicht auf Sanktionen gegen die Gaspipeline Nord Stream 2 in Aussicht gestellt haben soll. Im Brief bietet Scholz demnach an, den Import von Fracking-Gas aus den USA mit einer Milliarde Euro aus deutschen Steuermitteln zu fördern.
In den Reihen der SPD wächst die Nervosität. Außenminister Heiko Maas telefoniert mit seinem Smartphone. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Linken erklärt, dass zunächst der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand sprechen darf und währenddessen ermittelt wird, wo Scholz steckt. Brand schlendert ans Rednerpult. Für ihn ist der Fall des Oppositionellen Alexej Nawalny, der in Russland vergiftet und dort nach seiner Rückkehr aus Deutschland zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, glasklar. Die »Schergen« von Präsident Wladimir Putin hätten den Anschlag verübt, ruft Brand ins Plenum. Beweise dafür braucht er nicht. Brand will, dass Konsequenzen gezogen werden. »Bei Nord Stream 2 sollten wir nicht weitermachen, als ob nichts gewesen wäre. Es spricht alles für ein Moratorium«, meint der CDU-Mann. Die schwarz-rote Bundesregierung hat bisher erklärt, an der Gas-Pipeline festhalten zu wollen. In der Union gibt es hierzu aber unterschiedliche Meinungen. Mit seinem Statement bewegt sich Brand auf die Grünen zu, die das Projekt stoppen wollen.
Nach der Rede von Brand ergreift Petra Pau wieder das Wort. »Olaf Scholz ist in der Ministerpräsidentenkonferenz, wo über die Corona-Maßnahmen diskutiert wird«, erklärt sie. Es kommt zur Abstimmung, ob der Minister ins Parlament kommen muss. Heiko Maas steht von der Regierungsbank auf und geht in die Reihen der sozialdemokratischen Abgeordneten, um mit seinen Genossen den Antrag abzulehnen. Doch die Opposition ist an diesem Tag zahlenstärker im Parlament vertreten. Scholz muss kommen. Die Sitzung wird unterbrochen. Maas ist empört. »Sie machen hier ein scheinheiliges Spektakel«, sagt er in Richtung der Grünen, nachdem Scholz Platz genommen hat. Die Vorgänge, über die die Deutsche Umwelthilfe berichtet, seien schon lange bekannt. Der Außenminister kritisiert die russische Politik heftig, stellt aber Nord Stream 2 nicht in Frage.
Für Aufregung bei den Grünen sorgt wenig später auch Gregor Gysi. »Die Grünen leiden unter eine Russlandphobie«, sagt der Linke-Außenpolitiker. Gysi erinnert daran, dass Nawalny sich in der Vergangenheit rassistisch über Kaukasier geäußert hat. So jemand könne nicht als Vorbild für Demokraten dienen. Gysi bricht auch eine Lanze für Nord Stream 2. »Die Energiepolitik ist die letzte Brücke zwischen Deutschland und Russland«, erklärt er.
Doch der Druck auf die Große Koalition steigt, bei Nord Stream 2 zu handeln. Am Wochenende war der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Moskau, um dort die Freilassung Nawalnys zu fordern. Während des Besuchs erklärte das russische Außenministerium drei EU-Diplomaten zu »unerwünschten Personen«. Daraufhin forderten 81 Abgeordnete des Europaparlaments die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Schreiben dazu auf, zu handeln, »falls Herr Borrell nicht freiwillig zurücktritt«. Die Unterzeichner des Briefs kommen vor allem aus der konservativen EVP, dem liberalen Lager und der rechten EKR-Gruppe. Sie behaupten, Borrell habe in Moskau nicht ausreichend öffentliche Kritik an der russischen Politik geäußert.
Am Dienstag musste sich der Sozialdemokrat Borrell im Europaparlament verteidigen. Er kündigte neue Sanktionen gegen Russland an. Dazu werde er bald »konkrete Pläne« unterbreiten.
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