Die Wiederkehr der Aufstände
Notizen zu einer Debatte zweier linker Soziologen: Malm & Clover
Sicherlich wäre es eine viel besuchte, lebhafte Veranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke e. V. - Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin geworden. Zwei Soziologen waren eingeladen, deren Thesen in der linken Bewegung breit diskutiert werden. »Kämpfe in einer erhitzten Welt« lautete denn auch der Titel der pandemiebedingt ins Internet verlegten Debatte. Dabei ging es unter anderem um zwei aktuelle Bücher der beiden Diskutanten, deren Titel allein schon aufmerken lassen.
»Wie man eine Pipeline in die Luft jagt« nennt der schwedische Soziologe Andreas Malm sein Werk. Er stellt allerdings gleich zu Beginn klar, dass er keineswegs dazu aufrufen möchte, Öl- oder Gaspipelines zu attackieren, was die Umwelt schließlich noch mehr schädigen würde. Der verkaufsfördernde Titel des Buches ist eine Metapher. Malm erläutert darin sein Konzept, mit Mitteln des zivilen Ungehorsams und tatkräftiger Unterstützung von linken Parteien die Klimakatastrophe doch noch aufhalten zu können. Während der Online-Debatte verteidigte er seinen mehrfach geäußerten Rat an die Umweltbewegung, vom russischen Revolutionär und Theoretiker W. I. Lenin zu lernen. Mit dieser Empfehlung hatte er im vergangenen Jahr, anlässlich des 150. Geburtstags des Führers der Bolschewiki und Begründers des Sowjetstaates, für konträre Diskussionen gesorgt. Der schwedische Soziologe zitierte Lenins inmitten des Ersten Weltkrieges erhobene Mahnung, dass die revolutionäre Bewegung keine Zeit verlieren dürfe. Wie jener dereinst angesichts der Katastrophe des Völkergemetzels zur revolutionären Eile drängte, so dürfe sich die Klimabewegung angesichts der drohenden Unbewohnbarkeit des Planeten nicht Geduld oktroyieren lassen.
Auch der in den USA lehrende Soziologe Joshua Clover nennt sich Marxist. Er setzt aber einige Akzente anders als Malm. Sein Buch »Riot. Strike. Riot« ist dieser Tage ebenfalls auf Deutsch erschienen. Es bedürfe der Unterstürzung der Massen, um die Klimabewegung zum Erfolg zu führen, ist Clover überzeugt und verweist auf die bisher größten und effektivsten Aktionen von Umweltschützern in den letzten Jahren in den USA, die vor allem von Indigenen organisiert worden sind. Beispielsweise gegen den Bau von Pipelines. Clover stimmte in der Online-Debatte Malm zu, dass der Klimawandel rasche und konsequente Entscheidungen fordere. Im Gegensatz zu Malm möchte er jedoch nicht darauf warten, bis sich Parteien und Staat bewegen. Clover setzt auf weltweite Massenaktionen, die seiner Meinung nach schnellere Veränderungen herbeiführen. Er fügte hinzu, außerparlamentarische Bewegungen seien historisch immer dann erfolgreich gewesen, wenn sie unvorhersehbar waren. So lästerten noch wenige Monate vor den Unruhen in Frankreich im Mai 1968 politische Beobachter*innen über die unpolitische Jugend. Auch die Klimabewegung, hofft Clover, könnte solch ein Momentum erleben, das dann endlich einen globalen Wandel bewirke.
Der US-Soziologe sieht eine Wiederkehr von Aufständen in vielen Teilen der Welt. Dies begründet er ausführlicher in seinem neuen Buch, das auch prall mit historischen Fakten gefüllt ist. Waren vor der Industrialisierung im 19. Jahrhundert Straßen und Plätzen die bevorzugten Protestorte, hat sich das Kampffeld mit dem Aufstieg der Arbeiterbewegung in die Produktionsstätten verlagert; der Streik wurde zum bevorzugten Mittel sozialer Auseinandersetzung. Mit dem Rückzug der großen Fabriken zumindest in vielen Ländern des Globalen Nordens wurden erneut Straßen und Plätze zu den vornehmlichsten Austragungsorten politischer Proteste. Menschen, die nicht in fester Lohnarbeit stehen - Clover spricht von der »Surplus-Bevölkerung« -, könnten ohnehin ihre Interessen mittels Streik kaum durchsetzen. Tatsächlich gibt es für die Renaissance von »Riots« bereits etliche Beispiele rund um den Globus; erinnert sei hier nur an die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich, einem Land, das einst ein klassisches Streik-Land war.
Man muss nicht alle Thesen von Malm und Clover teilen; sie bieten allerdings sehr wohl eine solide Grundlage für eine linke Debatte zu Formen und Methoden politischer, sozialer und ökologischer Kämpfe unserer Zeit - gerade auch in Zeiten der Krise wie einer globalen Pandemie.
Joshua Clover: Riot. Strike. Riot. Die neue Ära der Aufstände. Galerie der abseitigen Künste & Non Derivate, 234 S., br, 19 €.
Malm Andreas: Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen. Matthes & Seitz, 211 S., geb., 18 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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