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»Wir wählen aus Würde und Verantwortlichkeit«
Bei den Regionalwahlen in Katalonien werden Erinnerungen an das Unabhängigkeitsreferendum wach
»Wir wählen aus Würde, aus Verantwortlichkeit und mit der Hoffnung, unser Land und unsere Zukunft gestalten zu können.« Die Worte kommen aus dem Munde von Laura Borràs. Sie fielen gegenüber dem »nd« am Wahlsonntag. Borràs ist nicht irgendwer, sondern potenziell kommende Präsidentin Kataloniens zu diesem Zeitpunkt. Sie erklärt, dass es »an der Zeit ist«, dass eine Frau die Präsidentschaft übernimmt. »Wenn eine Frau voranschreitet, schreiten alle Frauen voran und damit die gesamte Gesellschaft.« Dass mit ihr erstmals eine Frau Aussicht auf einen Wahlsieg habe, sei auch ein Zeichen der »Normalisierung, sozialer Gerechtigkeit und Gleichberechtigung«.
Gereicht hat es nicht ganz für die unabhängige Kandidatin von Gemeinsam für Katalonien (JxCat), die in Barcelona an zweiter Stelle hinter dem Symbolkandidaten Carles Puigdemont auf der Liste stand. Dass Puigdemont auch im Falle eines Wahlsieges nicht aus seinem sicheren Exil in Brüssel nach Katalonien zurückkehren würde, war ausgemachte Sache. So wäre Borràs am Zug gewesen, doch JxCat lief mit 32 Sitzen in einem engen Rennen nur an dritter Stelle ein - einen Sitz hinter den gleichauf liegenden pro-spanischen Sozialdemokraten (PSC) und der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), die seit Langem für die Unabhängigkeit Kataloniens eintritt.
Es ist ein Triumph für die rechtsradikale VOX und eine Schlappe für den triple derecha genannten spanischen Rechtsblock gleichermaßen. Kataloniens »Wahlsieger« 2017 hieß Ciutadans (Cs), die spanisch-nationalliberale Bürgerpartei. Damals kam sie mit ihrer Spitzenkandidatin Inés Arrimadas auf 25 Prozent. Arrimadas sitzt inzwischen längst im spanischen Parlament in Madrid. Die Cs stürzte 2021 ins Bodenlose, verlor 30 der bisherigen 36 Sitze und kam nur noch auf gut 5,5 Prozent.
Viele ihrer Wähler kehrten zu den prospanischen Sozialdemokraten der PSC zurück, weil die PSC sich im Gegensatz zur Bürgerpartei eindeutig von der ultranationalistischen VOX abgrenzt. Der andere Teil wählte die faschistoide VOX-Partei, die auf elf Sitze und knapp acht Prozent kam. Die außerhalb Kataloniens große spanische rechte Volkspartei (PP) stürzte weiter ab und kam in der Autonomen Gemeinschaft im Nordosten Spaniens nur noch auf knapp vier Prozent und drei Sitze. Erreichten Cs und PP 2017 gemeinsam noch knapp 30 Mandate, sind es nun gemeinsam mit VOX gerade noch die Hälfte der bisherigen 40 Sitze. Die Rechte, vor allem die spanisch-nationalistische, hat damit massiv an Kraft in Katalonien verloren.
Auf der anderen Seite hat die Linke zugelegt. Zwar hat En Comú Podem (Gemeinsam können wir es), der Ableger der Linkspartei Podemos, in Katalonien Stimmen an die linksradikale CUP verloren, aber ihre acht Parlamentssitze gehalten. Die Republikanische Linke Kataloniens ERC legte um einen Sitz, die CUP gar um fünf Sitze zu. rast
Der Wahlsonntag in Katalonien hatte einen Hauch des Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017, mit dem die Region die Unabhängigkeit von Spanien einleiten wollte. Dafür sorgte schon das kühle und regnerische Wetter. Erneut mussten Wähler mit Regenschirmen in langen Schlangen vor Wahllokalen ausharren. Die Verzögerungen waren nun aber strengen Sicherheitsvorkehrungen geschuldet, da mitten in der dritten Welle der Covid-Pandemie gewählt werden musste. Wahlhelfer mit Masken in weißen Schutzanzügen waren kein einladender Anblick beim Gang zur Wahlurne. Dafür gab es dieses Mal keine spanischen Sicherheitskräfte, die auf friedliche Menschen einprügelnd, Wahllokale stürmten und Urnen beschlagnahmten.
Erneut ging es um viel bei den Wahlen. Zuletzt musste im Dezember 2017 gewählt werden, nachdem Katalonien nach der Ausrufung der Republik unter spanische Zwangsverwaltung gestellt und die Regierung von Carles Puigdemont ins Exil getrieben oder ins Gefängnis geworfen wurde. Nun musste erneut vorfristig gewählt werden, da der Oberste Gerichtshof in Madrid den bisherigen Präsidenten Quim Torra zum Amtsverbot verurteilt hatte. Er hatte ein Transparent am Amtssitz nicht abgenommen, auf dem die »Freiheit der politischen Gefangenen« gefordert worden war. Bis zu 13 Jahre Haft haben ehemalige Regierungsmitglieder wegen »Aufruhr« für die Durchführung des Referendums erhalten. Kein Gericht in Europa - nicht in der Schweiz, nicht in Belgien, nicht in Großbritannien und nicht in Deutschland - folgte bisher dieser Rechtsauslegung, weshalb Exilanten wie Puigdemont nicht an Spanien ausgeliefert werden.
Das Ziel der Unabhängigkeitsbewegung für den Wahltag war klar: Es sollte gezeigt werden, dass die Repression ihre Bestrebungen nicht schwächt, sondern stärkt. Und erstmals wollte die Bewegung nicht nur die absolute Mehrheit der Sitze wie seit 2015 üblich, sondern erstmals auch die absolute Stimmenmehrheit bei Parlamentswahlen erobern: Das gelang bei einer von 79 Prozent im Jahr 2017 auf 53,5 Prozent gesunkenen Wahlbeteiligung. Wegen dieser Zielsetzung zog auch die Präsidentschaftskandidatin Laura Borràs Parallelen zum Referendum, als sie im gediegenen Stadtteil Sarrià am Mittag zur Wahl ging. »Erneut wählen wir mit Mut an einem Tag, der dem 1. Oktober ähnelt«, erklärt die Puigdemont-Kandidatin. Sie animierte alle noch einmal, »für die Demokratie« zur Wahl zu gehen. Die Wahlen seien sicher. Anders als befürchtet, dass Wahllokale wegen fehlender Wahlhelfer nicht geöffnet werden könnten, werde überall normal gewählt, sagte sie.
Eine Frau hätte die Anarchistin Roser Pineda auch gerne als Präsidentin gesehen. Sie wählte in der Altstadt in Drassanes in der Schule, in der sie am Referendumstag Präsidentin eines Wahllokals war. Die pensionierte Lehrerin und Aktivistin der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CGT geht eher selten wählen. »Was am 1. Oktober 2017 geschah, war viel bedeutender als jede Wahl«, meint sie. Das Referendum sei von unten, aus der Gesellschaft und gegen alle staatliche Repression organisiert und durchgesetzt worden. Ein historisches Ereignis, an dem sich fast so viele Menschen beteiligt haben, wie die 2,9 Millionen Wahlteilnehmer am Sonntag.
Unabhängigkeitslager in Katalonien siegt weiter. Martin Ling über die Wahlen in Katalonien.
Da auch sie ein unabhängiges Katalonien will, das besser für einen Wandel in Spanien sei, haderte die Feministin, ob es nicht besser wäre, Borràs eine »nützliche Stimme« zu geben. Denn hinter der steht Puigdemont mit einer klaren Linie. »Doch mein Herz schlägt für die CUP.« Sie könne ihre Stimme keiner Frau aus der Oberschicht geben. Die Antikapitalisten von der CUP seien »die Einzigen, auch wenn ich mit ihrer Politik oft hadere, die ein Projekt haben, um die Gesellschaft umzukrempeln«. Es sei die einzige Formation mit Basisorientierung sowie einer feministischen und ökologischen Ausrichtung. »Wenn wir uns nicht in diese Richtung bewegen, haben wir als Gesellschaft keine Chance mehr.«
Ihre 82-jährige Tante wollte dagegen, wie seit Jahrzehnten, erneut die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) zu wählen. Die hatte einen Wahlsieg »erhofft und erwartet«, wie der politische Gefangene und ehemalige Außenminister Raül Romeva im Gespräch mit dem »nd« erklärt hatte. Dabei traut Montse Casademont auch der ERC nicht mehr. »Wenn sie regieren, vergessen sie uns oft wieder«, sagte sie mit Blick auf die nicht eingelösten Versprechen nach dem Referendum. Sie hoffte trotzdem darauf, dass die ERC gewinnen würde und »es besser macht als bisher«.
Tatsächlich geht die Unabhängigkeitsbewegung, die sich in den vergangenen Monaten sehr gespalten gezeigt hat, als Sieger aus den Wahlen hervor. Die bisher im Parlament in Barcelona vertretenen Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, haben nun mit 51 Prozent mehr als die Hälfte der Wähler hinter sich gebracht. Erneut waren die über Repression erzwungenen Wahlen, mit denen das Scheitern der Bewegung gezeigt werden sollte, ein Rohrkrepierer für Spanien. Mit jeder Wahl nimmt der Anteil derer zu, die Unabhängigkeitsparteien wählen.
Vor allem durch die Tatsache, dass die CUP ihren Stimmenanteil von zuletzt 4,5 auf knapp sieben Prozent ausgebaut hat, konnte die Sitzmehrheit der Bewegung vergrößert werden, da sie nun neun statt vier Parlamentarier stellt. »Die Wahlurnen haben uns Kraft gegeben und unsere Einschätzung bestätigt, dass der Kampf für die Unabhängigkeit nicht vom Kampf für soziale und wirtschaftliche Veränderungen getrennt werden kann«, erklärte die CUP-Kandidatin Dolors Sabater stolz ihr Ergebnis.
Die junge Clara Tur hofft, dass das Ergebnis der CUP ihr nicht zu Kopf steigt. »Mit einer Klammer auf der Nase« habe sie die Truppe aus »linker Tradition« gewählt. Die habe sich zuletzt nicht mit Ruhm bekleckert. Ihr Programm sei »miserabel«, analysiert die Aktivistin. Das beste Programm habe Borràs und JxCat, meint sie. Dass sie eher die Puigdemont-Formation als die linkere ERC gewählt hat, liegt daran, dass sie nicht versteht, warum die Republikaner trotz der Repression, fehlender Verhandlungen zur Konfliktlösung und mangelnder Sozialpolitik die sozialdemokratische Regierung unter Pedro Sánchez in Madrid stützen. »Gibt es eine geheime Strategie, die wir noch nicht sehen können?«, fragt sich die 30-Jährige.
Solche Zweifel haben verhindert, dass die ERC ihr größtes Wahlziel erreicht hat. »Wahlsieger« wurde der spanische Sozialdemokrat Salvador Illa, der gleichzeitig der große »Wahlverlierer« ist. Denn er hat keine realen Chancen, zum Präsidenten gewählt zu werden, auch wenn er diesen Anspruch als Wahlsieger bereits erhoben hat. Ihm fehlen die Partner. Der bisherige Gesundheitsminister der spanischen Regierung erhielt mit der PSC und 23 Prozent die meisten Stimmen. Die ERC blieb knapp 50 000 Stimmen hinter Illa zurück, erreichte aber mit 33 die gleiche Sitzanzahl. Da Illa keine Regierung bilden kann, die ERC einen Sitz mehr als Puigdemonts JxCat erhielt, reklamiert der ERC-Kandidat die Präsidentschaft. »Erstmals nach 80 Jahren wird die ERC sie übernehmen«, kündigte Pere Aragonès an. An einer Mehrheit im Unabhängigkeitslager fehlt es bei 74 von 135 Sitzen dafür nicht. Doch ganz einfach wird eine Einigung mit der liberalkonservativen JxCat und der CUP nicht.
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