Gorillas streiken wild

Fahrradkuriere liefern im Schneechaos Lebensmittel nicht aus

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Lebensmittel nach Hause geliefert bekommen, bereits zehn Minuten nach der Bestellung: Dieses Versprechen konnte das Berliner Start-up Gorillas dieser Tage offenbar nicht halten. Denn praktisch verließ vergangene Woche kaum eine Bestellung die Lagerhäuser. Die Rider genannten Lieferfahrer sprechen von Streik.

Marcos Vernengo ist einer der Streikenden. Der 27-Jährige arbeitet seit November in Vollzeit als Kurier bei Gorillas. »Am Anfang war ich enthusiastisch, dort zu arbeiten«, sagt er zu »nd«. Nach zwei Wochen sei er wegen einer Beförderung angerufen worden, allerdings sei es nicht dazu gekommen, da der Argentinier mit einem Working-Holiday-Visum in Deutschland arbeitet und wie viele der Rider nicht über einen EU-Pass verfügt.

Am Montagmorgen der Vorwoche hätten die Kuriere bei Minusgraden und starkem Schneefall regulär zur Schicht erscheinen müssen. »Mit den acht Kollegen im Lagerhaus Checkpoint Charlie haben wir beschlossen, dass wir bei dem Wetter nicht ausliefern werden«, sagt Vernengo. Auch in Schöneberg sei so entschieden worden, man habe die Entscheidungen den anderen Kolleg*innen mitgeteilt. Am späten Vormittag stellte Gorillas die Arbeit für den Tag ein. Danach hätten die Angestellten eine Mail mit Sicherheitshinweisen erhalten, die zudem verkürzte Arbeitszeiten für die Restwoche in Aussicht stellte. Daraufhin habe man am Folgetag erneut gestreikt, diesmal in drei Lagerhäusern.

»Am Dienstag hat das Unternehmen das nicht so gut aufgenommen. Dabei ging es uns nur um unsere Sicherheit«, erklärt Vernengo. Letztendlich habe Gorillas entschieden, die Woche nicht mehr zu öffnen. Bereits im Dezember habe das Unternehmen allen Kurieren Winterjacken versprochen. »Es gab einfach nicht genügend. Man hat uns immer wieder vertröstet und mittlerweile ist es Februar«, kritisiert Vernengo. Die Ausfahrer beklagen zudem Lohnunterschiede: Einige von ihnen verdienten 10,50 Euro, andere bis zu zwölf Euro pro Stunde. Weitere Probleme seien Verschleißschäden an den bereitgestellten Fahrrädern, verspätete Lohnauszahlungen sowie Überladung, insbesondere zu Stoßzeiten am Wochenende. Daher klagten viele Kolleg*innen über Rückenprobleme, sagt er. Auch Pausenzeiten hätte man erst erkämpfen müssen.

Sebastian Riesner ist von solchen Vorwürfen nicht überrascht. Auch bei anderen Lieferdiensten habe es Probleme mit dem Wintereinbruch gegeben, sagt der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zu »nd«. Die Arbeitsbedingungen hätten zudem mit der Mentalität in Start-ups zu tun. »Man macht erst mal und schaut, ob sich jemand beschwert«, meint Riesner. »In der Regel weiß man aber, dass man es mit Leuten zu tun hat, die sich nicht wehren.«

Auf nd-Anfrage äußert sich Gorillas nicht, ob Streiks für den Stillstand verantwortlich waren. Man habe sich bei der morgendlichen Kontrolle der Straßenverhältnisse dazu entschieden, den Service vorübergehend einzustellen, »im Sinne der Sicherheit für unsere Fahrer«, heißt es. Wetterfeste Kleidung würde den Ridern zur Verfügung gestellt, die Lohnbuchhaltung sei zudem dieses Jahr aufgestockt worden. An die gesetzlichen Bestimmungen hielte man sich grundsätzlich.

»Es ist ja nicht so, dass nichts passiert. Ich habe nur das Gefühl, dass die Mitarbeiter für das Unternehmen nicht wirklich Priorität haben, obwohl ständig beteuert wird, dass wir eine Familie seien«, sagt Vernengo. Als man etwa undurchsichtige Trinkgeldabrechnungen angesprochen habe, hätte das Unternehmen reagiert und diese einsehbar gemacht. Der Fahrer wünscht sich, dass sich sein Unternehmer neben den Expansionsplänen auch auf die Beschäftigten fokussiert. Erst im Dezember konnte das Start-up 36 Millionen Euro Kapital einwerben. Mittlerweile ist der Lieferdienst in vier deutschen Großstädten sowie in Amsterdam aktiv.

Vernengo will weiter für Gorillas arbeiten: »Wir haben eine sehr gute Atmosphäre unter internationalen Kollegen, das schätze ich sehr.« Es gibt Überlegungen, einen Betriebsrat zu gründen, um Verbesserungen zu erreichen. Eine fluktuierende Belegschaft ist eine große Hürde, weiß Gewerkschafter Riesner. »NGG unterstützt die Bildung von Betriebsräten. Es braucht allerdings genügend Beschäftigte, die sich dazu bereiterklären.«

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