Energiegenossenschaften sehen sich im Abseits
Verbändevertreter kritisieren mangelnde Unterstützung durch die Bundesregierung für die Stromwende
Meist geht es bei der Energiewende um Zahlen, um den Ausbau von Windkraft, Photovoltaik und anderen erneuerbaren Energien. Und darum, wie viel Strom und Wärme damit erzeugt werden. Hinter den Zahlen vollziehen sich aber auch Prozesse, die nicht gleich zu erkennen sind. Einer davon ist die schleichende Erosion der Energiegenossenschaften in Deutschland. Deren Anzahl stagniert seit Jahren. 2015 lag sie schon einmal jenseits der 900, zurzeit sollen es nach Angaben des Genossenschaftsverbandes DGRV knapp 850 sein. Die Mitgliederzahl legte danach in den vergangenen fünf Jahren immerhin von 185 000 auf 200 000 zu.
In der Branche ist es ein offenes Geheimnis, dass Genossenschaften, die vielleicht nur ein, zwei ältere Windräder ihr Eigen nennen, keine große Zukunft haben, wenn ihre Anlagen jetzt nach 20 Jahren ihren Zuschuss aus der EEG-Förderung verlieren. Für die dann nötige Vermarktung des Stroms fehle das Know-how, für ein aufwendiges Repowering - das Ersetzen durch neue, effektivere Anlagen - oftmals auch das Geld. Für die Genossenschaften gelte deswegen: Wachsen, neue Geschäftsfelder erschließen - oder irgendwann weichen.
Die Lage ist inzwischen ziemlich dramatisch. Politische Entscheidungen und gesetzgeberische Änderungen führten zu einer »immer weiteren Verdrängung« der Energiegenossenschaften aus den Geschäften mit Strom, Wärme und Mobilität, bilanzierten am Dienstag die im DGRV organisierten Energiegenossenschaften anlässlich ihres virtuellen Jahreskongresses. »Schlussendlich befürchten wir einen kompletten Ausschluss der Energiegenossenschaften von der Teilhabe an der Energiewende und damit den Verlust der Akzeptanz und aktiven Teilhabe.«
Um solche Befürchtungen an die Politik zu adressieren, scheinen die Zeiten wenig geeignet. Vor den Wahlen in mehreren Ländern und im Bund will jedenfalls das Bundeswirtschaftsministerium, machte Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß klar, keinen Forderungen mehr groß nachkommen. Bareiß bewegte sich bei seinem Auftritt auf dem Kongress ganz auf der Linie seines Ministers und CDU-Parteifreunds Peter Altmaier: Die Energiewende in Deutschland sei »sehr, sehr erfolgreich« gewesen und man habe »unglaublich viel« erreicht. Auch ohne Corona-Pandemie hätte Deutschland das Ziel, die CO2-Emissionen von 1990 bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, »knapp geschafft«, sagte Bareiß und hielt auch das der Politik der aktuellen Bundesregierung zugute.
Die Forderungsliste der Energiegenossenschaften ist inzwischen hinlänglich bekannt. So soll es für Energiegenossenschaften möglich werden, Solarprojekte von 1000 bis 5000 Megawatt in separaten Ausschreibungen unterzubringen und Windkraftprojekte vereinfacht umzusetzen - denn ihre geschäftliche Kraft ist gegenüber der von Finanzinvestoren oder Stromkonzernen eben begrenzt. Besonders wichtig ist den Genossenschaften, endlich das sogenannte »Energy Sharing« zu ermöglichen, eine Art genossenschaftliche Mitgliederversorgung. Könne der lokal erzeugte Grünstrom den Ortsansässigen zu einem günstigen Preis angeboten werden, würde auch die Akzeptanz des Ausbaus der Erneuerbaren steigen.
Auf keine der konkreten Forderungen ging Wirtschaftsstaatssekretär Bareiß bei seinem Auftritt ein, stritt aber gleichzeitig ab, dass er, wie oft beschrieben, ein »Ausbremser« der Energiewende sei. So habe er sich nie gesehen, habe vielmehr schon oft vor drei- oder vierhundert Leuten in kleinen Orten für Windräder gekämpft, wo er »Naturschützern oder irgendwelchen BUND- oder Nabu-Leuten« habe erklären müssen, dass das geplante Windrad nicht gegen Natur und Umwelt stehe.
Zumindest energiepolitisch zeigten sich Branchenvertreter von dem Auftritt des Staatssekretärs eher enttäuscht. Zwar habe Bareiß die Rolle der Energiegenossenschaften für die Energiewende anerkannt und es gebe auch einige Verbesserungen mit dem kürzlich novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetz, sagte Armin Komenda vom Ökostrom-Pionier EWS Schönau, dennoch blieben die Bedingungen für den Ausbau der Erneuerbaren und die Partizipation an der Bürgerenergie »unbefriedigend«. Auch nach Bareiß’ Vortrag sei nicht konkret zu erkennen, wie die Bundesregierung die drohende Ökostromlücke vermeiden und die Bürgerenergie besser einbinden wolle.
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