Linke fordert Baustopp für die Garnisonkirche

Der Bund will nun schon fast die Hälfte der Kosten für das Wiederaufbauprojekt in Potsdam bezahlen. Versprochen war etwas anderes

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wenn es um Geschichtsrevision geht, dann ist die Bundesregierung auch bereit, sehr viel Geld in die Hand zu nehmen. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, dass die Spendeneinnahmen sinken und die Kosten für die Steuerzahler ständig steigen«, sagt die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch (Linke) zu »nd«. Sie bezieht sich auf Pläne des Bundes, für den umstrittenen Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche 8,25 Millionen Euro zusätzlich zu spendieren. Bereits seit Oktober 2017 bewilligt sind zwölf Millionen Euro.

Die Regierung habe kein Problem, gegen die Bundeshaushaltsordnung zu verstoßen, kritisiert Lötzsch. »Eine Anschubfinanzierung ohne gesicherte Gesamtfinanzierung schließt die Bundeshaushaltsordnung ausdrücklich aus.« Es sei aber erprobte Politik, wie man es auch beim Berliner Schloss erlebt habe. »Die Steuerzahler müssen die Hauptlast für kostspielige Prestigeobjekte zahlen und die vermögenden Spender setzen sich dann auf die Projekte drauf.« Die Abgeordnete wollte am Mittwochnachmittag im Haushaltsausschuss kritisch nachfragen. Sie erklärte: »Die Linke fordert den sofortigen Baustopp für die Garnisonkirche.«

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Der Kirchturm, der eine Höhe von 88 Metern erreichen soll, wächst derzeit Stück für Stück. Mit zusammen mehr als 20 Millionen Euro würde knapp die Hälfte der für den Turm veranschlagten Baukosten aus Steuermitteln bezahlt werden. Das widerspricht der ursprünglichen Zusicherung, der Wiederaufbau der Kirche lasse sich mit Spenden finanzieren.

Der Potsdamer Stadtverordnete Hans-Jürgen Scharfenberg (Linke) erinnert sich noch genau, unter welchen Bedingungen seine Fraktion sich einst bereit fand, den Wiederaufbau zu tolerieren: Es sollten keine öffentlichen Mittel in das Projekt fließen. Das Stadtparlament beschloss, dass die Kommune nichts zuschießt. Der Wille sei aber gewesen, dass auch das Land und der Bund sich zurückhalten, bestätigt Scharfenberg. Dass es nun anders läuft, hält er für »problematisch«. Ihm missfällt ebenfalls, dass der Trend seit 2004 wieder dahin ging, zumindest die Fassade dem historischen Vorbild möglichst ähnlich nachzubilden. Denn es sollte äußerlich ein Bruch mit der Geschichte vollzogen werden, findet Scharfenberg. Die Räume des Turms sind immerhin anders dimensioniert als beim barocken Original. Außerdem werden inhaltlich Akzente gesetzt.

Eine 1984 im nordrhein-westfälischen Iserlohn gegründete Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel wollte den originalgetreuen Wiederaufbau und sammelte dafür 6,3 Millionen Euro Spenden ein. Die nationalistischen und revanchistischen Tendenzen waren nicht zu übersehen. So nahm sich die evangelische Landeskirche der Sache an. Ihr Konzept sah vor, ein Nagelkreuz oben aufzusetzen und so eine Verbindung zur Kathedrale im englischen Coventry herzustellen. Die faschistische Luftwaffe radierte die Kathedrale im Zweiten Weltkrieg aus. Die Traditionsgemeinschaft war mit Abweichungen vom Original nicht einverstanden und stellte die 6,3 Millionen Euro deshalb nicht zur Verfügung, sondern gab die Summe für andere Zwecke aus.

Was deutsche Bomber im November 1940 in Coventry angerichtet hatten, geschah so ähnlich in der Nacht zum 15. April 1945 in Potsdam. 490 britische Kampfflugzeuge bombardierten die Stadt. 1000 Gebäude im Zentrum wurden zerstört, 1593 Einwohner starben, die Garnisonkirche brannte aus. Das war die Nacht von Potsdam - das Nachspiel des Tages von Potsdam am 21. März 1933. Seinerzeit zelebrierten die Nazis in der Garnisonkirche die Eröffnung des Reichstags. Reichspräsident Paul von Hindenburg schüttelte dort Adolf Hitler die Hand. Er hatte ihn zum Kanzler ernannt.

Im Jahr 2017 befragten Jugendliche Passanten, was diese über den Tag von Potsdam wissen. Das Ergebnis war erschreckend. Eine Schülerin sagte hinterher: »Eigentlich sollten doch in Potsdam alle wissen, wie damals so viele Menschen Hitler zugejubelt haben und was dann geschah.« Die Stiftung Garnisonkirche berichtet davon in einer gerade publizierten Broschüre zur Geschichte des Wiederaufbauprojekts. Auf 44 Seiten wird zurückgeblickt bis 1990. In jenem Jahr verabschiedete das Stadtparlament eine Willenserklärung zu einem möglichen Wiederaufbau. Seitdem wurden aber auch ganz andere Beschlüsse gefasst. Aufgrund eines Bürgerbegehrens entschieden die Stadtverordneten im Jahr 2014, dass der seinerzeitige Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) im Kuratorium die Auflösung der Stiftung beantragen sollte. Das tat er - und das Kuratorium lehnte den Antrag ab.

Eine komplette Seite der Broschüre ist der Bewilligung der zwölf Millionen Euro durch den Bund gewidmet. Nur am Rande erwähnt wird das Spendenaufkommen. Demnach gab Fernsehmoderator Günther Jauch 1,5 Millionen Euro für die Aussichtsplattform. Für eine Summe ab 100 Euro kann die Patenschaft für einen Ziegelstein übernommen werden. Im Jahr 2019 kamen auf diese Weise 57 000 Euro zusammen. Für 184 von 472 Stufen sind ebenfalls Patenschaften möglich. Diese kosten zwischen 2500 und 5000 Euro. Bis Ende 2019 brachte das 587 000 Euro ein.

Den einmillionsten Ziegel verbaute Maurer Ismail Jonuzi vor zwei Jahren gemeinsam mit Brunhilde Hanke. Sie war von 1961 bis 1984 SED-Oberbürgermeisterin von Potsdam und wollte die Ruine des Kirchturms 1968 vor dem Abriss retten. Ihre Idee: Im Turm eine Ausstellung darüber einrichten, wie Karl Liebknecht bei der Reichstagswahl 1912 den Wahlkreis Potsdam für die SPD gewann. Kulturminister Klaus Gysi (SED) habe sie für diesen Vorschlag erwärmt, erzählt Hanke. Es wurde aber nichts daraus. Die Garnisonkirche wurde gesprengt. Hanke betont, sie sei lediglich für den Wiederaufbau des Turms, nicht des Kirchenschiffs. Würde auf den Längsbau verzichtet, müsste das alte Rechenzentrum nicht abgerissen werden, in dem Künstler und andere Kreative Unterschlupf gefunden haben.

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