Ägypten sehnt sich nach alter Größe

Die Regierung in Kairo agiert in Libyen und im Mittelmeerraum als Konkurrent der Türkei

  • Philip Malzahn, Abu Dhabi
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach seinem Wahlsieg war der Ministerpräsident der libyschen Übergangsregierung Abdul Hamid Dbeibah 18. Februar zuerst nach Kairo gereist. Dort traf er sich mit dem Präsidenten Abdel Fattah Al-Sisi, um ein gemeinsames Vorgehen im vom Krieg zerrütteten Land zu besprechen. Denn Ägypten überlegt, ein Truppenkontingent von mehreren Tausend Soldaten ins Nachbarland zu schicken, um dort, zusammen mit Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Frankreich und dem Sudan, den libyschen General Khalifa Haftar zu unterstützen. Dieser kämpft seit 2014 gegen die in der Hauptstadt Tripolis ansässige Nationale Einheitsregierung.

Ein ehemaliger Professor der renommierten American University of Kairo, der anonym bleiben möchte, sagte dem »nd«: »Sisi hat zwei Beweggründe. Der erste ist die nationale Sicherheit. Libyen und Ägypten teilen eine 1100 Kilometer lange Grenze. Aufgrund der instabilen Lage im Nachbarland kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zum illegalen Eintritt terroristischer Gruppen, die dann auf ägyptischem Boden ihr Unwesen trieben.« Im Jahr 2015 etwa entführte und köpfte der libysche Flügel der Terrorgruppe »Islamischer Staat« 21 koptische Christen. Der zweite Grund für die mögliche Entsendung ägyptischer Truppen liege jedoch ganz woanders, sagte der Experte. »Die Türkei nimmt heute die Rolle ein, die einst Ägypten hatte. Durch den Syrienkrieg, durch die dadurch entstehende Dynamik, auch in Bezug auf Migrationsbewegungen gen nach Europa, ist Ankara heute politisch, militärisch und geostrategisch gesehen einer der wichtigsten Akteure im Nahen Osten.«

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Die Türkei hat in den vergangenen Jahren auch in Libyen ihr Engagement ausgeweitet. Die türkische Regierung unterstützt mit Militärpersonal vor Ort auch islamistische Gruppen und erhofft sich durch Einflussnahme vor allem eine größere Machtposition im Mittelmeer. Dort versucht die Türkei, bisher unangetastete Erdgasvorkommen für sich zu deklarieren. Ein im November 2019 geschlossener Vertrag zwischen Ankara und Tripolis soll eine gemeinsame Seegrenze definieren und den Anspruch auf das dort liegende Gas unterstreichen - sehr zum Ärger diverser Staaten wie Griechenland, aber eben auch Ägypten. »Und beim Erdgas liegt auch für Al-Sisi die größte Motivation, sich stärker in Libyen zu engagieren«, sagte der ehemalige Professor.

Einst war Ägypten das wichtigste Land im arabischsprachigen Raum. Als Vorreiter des panarabischen Nationalismus und angeführt vom Präsidenten Gamal Abdel Nasser stürzte man 1952 die von den Briten gelenkte Monarchie, verstaatlichte den für Europa so wichtigen und profitablen Suez-Kanal und verteidigte diesen dann auch militärisch. Ägypten, insbesondere die Hauptstadt Kairo, stieg nicht nur politisch, sondern auch kulturell zum wichtigsten Zentrum der postkolonialen arabischsprachigen Welt auf. Aufgrund seiner geostrategischen Wichtigkeit, vor allem die direkte Grenze zu Israel, war der Westen dazu gezwungen, mit Ägypten zu kooperieren. Der Friedensvertrag von 1979 zwischen Tel Aviv und Kairo sollte diese Kooperation unterstreichen. Heutzutage droht das Land auf weltpolitischer Bühne in Vergessenheit zu geraten.

Das hat viele Gründe: Zum einen steht der Nahostkonflikt bei Weitem nicht mehr so im Fokus wie einst. Zumindest stehen durch den Syrienkrieg und den wachsenden Einfluss des Irans auf palästinensische Widerstandsbewegungen andere Akteure im Vordergrund, auf die man aus Kairo keinen Einfluss hat. Aber auch im Inland geht es bergab: Das ägyptische Pfund ist im Keller. In den vergangen fünf Jahren hat er etwa die Hälfte seines Wertes verloren.

Der Präsident, Ex-General Abdel Fattah Al-Sisi, versucht verzweifelt, die Versprechen einzuhalten, die er nach dem Sturz seines Vorgängers Hosni Mubarak im Juni 2013 gegeben hatte: wirtschaftliche Stabilität und politischer Frieden. Mit Frieden war wohl eher Ruhe gemeint, denn viele Menschen sehnten sich nach besseren Zeiten: Zuerst stürzte Mubarak während der turbulenten Ereignisse im sogenannten Arabischen Frühling; und dann folgte auch noch der Wahlerfolg der Muslimbrüder, die in der Folge versuchten, das Land in eine islamistische Diktatur zu verwandeln.

Al-Sisi regiert zwar wie alle seine Vorgänger auch mit harter Hand, verhaftet und foltert Kritiker, lässt Wahlergebnisse fälschen - doch im Gegenzug sollte die ägyptische Wirtschaft angekurbelt werden und die Bevölkerung in Frieden leben können, solange sie sich nicht gegen ihn auflehnt. An der Umsetzung mangelt es jedoch gewaltig. Nicht zuletzt ist Al-Sisi deshalb dazu geneigt, durch aktives Einmischen in äußere Konflikte eine neue Rolle Ägyptens zu definieren. Und eventuell auch wirtschaftlich davon zu profitieren, langfristig die Türkei aus dem Mittelmeerraum zu verdrängen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.