Moralischer Sieger

Skilangläufer Thomas Bing schreibt die Comeback-Story dieser WM

  • Lars Becker, Oberstdorf
  • Lesedauer: 3 Min.

Thomas Bing stand nach seinem 49. Platz am Auftakttag der Heim-Weltmeisterschaften enttäuscht im sonnenüberfluteten Zielraum von Oberstdorf. Dabei war der 30 Jahre alte Thüringer am Donnerstag einer der größten Sieger dieses Sprintwettbewerbs der Skilangläufer. Vor nunmehr zwei Jahren hatte sich Bing bei einem Sturz im Training das Schien- und Wadenbein gebrochen. Damals platzten nur zwei Wochen vor Beginn der Nordischen Ski-Weltmeisterschaften von Seefeld die Träume eines der besten deutschen Loipenspezialisten von einem Start bei einem der großen Höhepunkte. Dass er nach dieser schweren Verletzung nun den Sprung zu den Titelkämpfen in der Heimat geschafft hat, ist die Comeback-Story dieser Weltmeisterschaften.

»Ich habe schon an dem Tag vor zwei Jahren, an dem die Verletzung passiert ist, gedacht: Es gibt eine Chance, dass ich in Oberstdorf dabei bin. Aufgeben war nie eine Option«, erzählt Bing. Dabei hätte es durchaus allen Grund dazu gegeben. Nach seinem Sturz im nassen, stumpfen Schnee war ihm nämlich die Schwere der Verletzung zunächst nicht bewusst gewesen. »Im Tiefschnee stellte ich fest, dass nicht mein Ski, sondern mein Unterschenkel gebrochen ist«, schrieb Bing damals bei Instagram mit dem ihm eigenen schwarzen Humor.

Aber es kam noch schlimmer: Normalerweise ist ein einfacher Bruch nach sechs Wochen wieder geheilt. »Aber mein Schienbein war auf 30 Zentimetern kompletter Schrott. Das hat die Heilungszeit natürlich extrem verlängert«, berichtet Bing. Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände, die sein Bein zu einem Trümmerfeld gemacht hatten. Der Schnee war am Tag des Sturzes pappig und damit hart wie Beton. Bing war mit 60 Stundenkilometern in einer Abfahrt unterwegs. Und wurde dann am Rand der Strecke mit einem Drehimpuls abrupt gestoppt. Das Ergebnis: »Eine Verletzung, wie es sie in ihrer Schwere im Ausdauerbereich noch nie gegeben hat.«

Andere hätten nach diesem Totalschaden ihre Karriere beendet. Nicht so der Mann vom Röhner WSV Dermbach. Thomas Bing kämpfte sich in der langen Rehabilitation zurück. Selbst die Ärzte waren über die Heilungsfortschritte erstaunt. Trotzdem dauerte es fast zwei Jahre mit zwei kleineren Operationen zur Entfernung von Schrauben in seinem lädierten Bein, bis er im vergangenen Dezember in Davos sein Comeback im Weltcup feiern konnte.

Die körperlichen Folgeprobleme waren damit aber noch längst nicht komplett behoben: In diesem Winter war seine Wadenmuskulatur oft so fest, dass ein Nerv eingeklemmt wurde und die Schmerzen kaum auszuhalten waren. Der Traum vom WM-Start in Deutschland ließ Bing trotzdem immer weiterkämpfen. Und er wurde schließlich belohnt, nachdem er sich in internen Ausscheidungsrennen durchgesetzt hatte. Während Topfavorit Johannes Kläbo aus Norwegen und die Schwedin Jonna Sundling die ersten Goldmedaillen dieser WM gewannen und die Oberstdorferin Laura Gimmler auf Platz zehn das beste deutsche Resultat schaffte, konnte sich Bing am Donnerstag immerhin als moralischer Sieger fühlen. »Der ganze Aufwand hat sich gelohnt - ich war schließlich bei der WM dabei. Auch wenn meine Leistung nur durchschnittlich war«, meinte Bing, der in Oberstdorf nach derzeitigem Stand nicht noch einmal zum Einsatz kommen wird.

Bis Olympia im kommenden Jahr in Peking will Bing, der die Fortsetzung seiner Karriere nur noch von Jahr zu Jahr plant, konkurrenzfähiger sein: »Ziel ist zumindest ein Top-15-Platz.« Zuvor steht nach der Saison allerdings noch eine Operation an. Er will den langen Marknagel aus seinem Bein entfernen lassen, der beim Zusammenwachsen dem Knochen Stabilität gegeben hat. Eigentlich könnte der Metallstift dauerhaft im Bein verbleiben, aber Bing hat die Horrorvorstellung, dass er noch einmal stürzen könnte und der »Nagel dann bei einem neuerlichen Bruch aus dem Bein herausschaut«.

Deshalb stellt er sich lieber auf schmerzhafte Wochen nach der Operation ein, in denen er sich wieder zurückkämpfen muss. Erfahrung in der Lösung scheinbar unlösbarer Probleme hat er schließlich schon.

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