Posterboy jetzt Buhmann

Vertuschung, Machtmissbrauch, Sexismus: Schwere Vorwürfe gegen New Yorks Demokraten-Gouverneur Andrew Cuomo

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor nicht allzu langer Zeit war die Beziehung zwischen Andrew Cuomo und den Demokraten-Anhängern eine Art Liebesaffäre. In der Coronakrise zeigte sich der Gouverneur von New York als kompetenter Manager und wurde deswegen zeitweise regelrecht angehimmelt. Doch dieser Tage sinkt der Stern des Mannes, der schon als künftiger Präsidentschaftskandidat gehandelt wurde. Auf seinen täglichen Pressekonferenzen erklärte Cuomo, die Corona-Bekämpfung sei »datengetrieben« und werde nicht politisiert – anders als beim damaligen US-Präsidenten Trump.

Die Begeisterung über die Pressekonferenzen unter New Yorkern und Demokraten landesweit führte zu der Schlagzeile in Boulevardblättern, dass Cuomo Single sei. Im Internet wurden T-Shirts mit den Slogans »Cuomosexual« oder »In Cuomo we trust« verkauft. Doch schon damals gab es Kritik daran, dass er entschieden hatte, infizierte Bewohner von Pflegeheimen könnten dort auch medizinisch versorgt werden.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Medienkritiker wiesen zudem schon Mitte 2020 daraufhin, dass die Pandemieeindämmung in den Westküstenstaaten Kalifornien, Washington und Oregon ähnlich gut oder erfolgreicher war, aber keine entsprechende Berichterstattung erhielten. Die Erklärung: Viele große Medienhäuser sitzen an der Ostküste, vor allem in New York City. Deren führende Journalisten berichteten bevorzugt über einen Mann, der ihnen physisch näher war und auch ihr Leben direkt beeinflusste. Besonders problematisch: CNN-Moderator Chris Cuomo interviewte seinen Bruder Andrew zur besten Sendezeit, witzelte mit ihm herum, statt kritische Fragen zu stellen. Der liberale Fernsehsender verbot dies später.

In die Demokraten-Liebesaffäre mit Cuomo platzte Ende vergangenen Monat Staatsanwältin Letitia James: Die Zahl der Covid-Toten im Staat sei fast doppelt so hoch gewesen, wie vom Staat angegeben, schrieb sie in einem Bericht. Offenbar hatte Cuomo Daten zurückgehalten. Sofort stand der Vorwurf »Vertuschung« im Raum, mittlerweile ermittelt auch die Bundespolizei FBI und die Staatsanwaltschaft. Man habe der Trump-Regierung, die die Daten angefragt hatte, keine Munition geben wollen, so ein Erklärungsversuch von Cuomo-Beratern. Doch auch Demokraten-Parlamentarier im Staat hatten die Daten angefragt.

Was in den letzten Tagen passiert ist, gibt einen Einblick in das »System Cuomo«, in den Politikstil des mächtigen wirtschaftsnahen Gouverneurs und seiner »Politmaschine«. Der Italoamerikaner stammt aus einer Politikerfamilie – sein Vater war von 1983 bis 1994 Gouverneur des Staates. Seit 2011 regiert Cuomo und das laut linken Kritikern auch mit mafiaartigen Methoden. Der in New Yorker Politzirkeln als unantastbar geltende Cuomo habe neben weiteren Demokraten-Abgeordneten auch den Parlamentarier Ron Kim persönlich angerufen, so Medienberichte. Er habe die Veröffentlichung einer Unterstützungserklärung gefordert und gedroht, er könne ihn »vernichten«, so Kim, der stattdessen den Fall öffentlich machte.

Am Donnerstag veröffentlichte Lindsey Boylan eine Erklärung im Internet, in der die ehemalige hochrangige Mitarbeiterin von Cuomo über sexuelle Belästigung durch den Gouverneur und Einschüchterung weiterer Frauen in seinem Umfeld berichtet. Cuomo hätte sie gegen ihren Willen geküsst, bei anderen Gelegenheiten angefasst, ständig sexuelle Anmerkungen gemacht, Strip-Poker-Einladungen etwa, und eine Atmosphäre der Angst verbreitet.

Die Reaktion in den sozialen Medien war umgehend und scharf, ob denn die Parole #MeToo und die Ächtung mächtiger Männer, die sich sexuell übergriffig verhalte würden, auch für Demokraten gelten würde, fragten sarkastisch sowohl Republikaner-Anhänger als auch Parteilinke. Doch auch einige bisherige Cuomo-Anhänger zeigten sich beeindruckt. Der Gouverneur bestritt die Vorwürfe und nannte sie »falsch«. Es sind nicht die ersten Vorwürfe wegen sexueller Belästigung und Machtmissbrauch gegen Cuomo.

Dieser hatte im vergangenen Jahr vom New Yorker Parlament weitreichende Pandemie-Notstandsgewalt erhalten. Eine wachsende Zahl der Demokraten-Abgeordneten will diese in einer für nächste Woche geplanten Abstimmung zurücknehmen.

Wie sehr die Enthüllungen Cuomo schaden werden, ist noch unklar. In einer Morning Consult-Umfrage unter 3000 New Yorker Wählern, die noch vor Bekanntwerden der Belästigungsvorwürfe durchgeführt worden ist, sank seine Beliebtheit nach Bekanntwerden der neuen Covid-Totenzahlen um sechs Punkte auf 57 Prozent. 38 Prozent waren demnach in dem stark von den Demokraten dominierten Staat unzufrieden mit Cuomos Amtsführung.

Cuomo muss seit diesem Jahr nach entsprechenden Vorwahlerfolgen mit mehr progressiven Demokraten-Abgeordneten im Staatsparlament umgehen. Er müsste sich nächstes Jahr zur Wiederwahl stellen. 2018 konnte sich die Parteilinke bei den Vorwahlen für den Gouverneursposten nicht durchsetzen. Die von Progressiven in der Partei unterstützte Schauspielerin Cynthia Nixon unterlag gegen Cuomo mit 32 Prozentpunkten Rückstand. Derzeit gibt es noch keinen progressiven Gegenkandidaten.
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.