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Institut des Grauens
Rätsel des Dahlemer Knochenfunds stößt Aufarbeitung rassistischer Forschung an.
Sechzehntausend stark fragmentierte menschliche Skelettteile wurden zwischen 2015 und 2016 auf dem Campus der Freien Universität Berlin in Dahlem ausgegraben. Auf einer gemeinsamen Veranstaltung von Freier Universität, Max-Planck-Gesellschaft und Landesdenkmalamt Berlin in der vergangenen Woche wurde vor allem eines klar: Wir wissen über diese Knochen fast nichts - und das wird vermutlich auch so bleiben. Trotzdem lohnt sich ein genauer Blick auf die Umstände dieser Ausgrabungen.
Die Vorgeschichte
Am 1. Juli 2014 wurden bei Bauarbeiten an den Außenanlagen der Bibliothek der Freien Universität erstmals menschliche Knochenteile gefunden, daneben zehn Plastikmarken, die für ethnologische Sammlungen üblich waren, und eine Ampulle mit Anästhetikum. Eine gutachterliche Untersuchung ergab, dass es sich um menschliche Knochen von mindesten 15 Personen handelte, die über mehrere Jahrzehnte in der Erde gelegen hatten. Günther Ziegler, der Präsident der Freien Universität, sagt, man habe damals die Knochen würdig beisetzen wollen. Allerdings seien sie zu dem Zeitpunkt bereits kremiert und anonym bestattet worden. Seitdem werden alle Bauarbeiten der Universität archäologisch begleitet. Dies soll auch in Zukunft beibehalten werden.
Der Fundort
Das Gelände, auf dem die Knochen gefunden wurden, war zwischen 1927 und 1945 der Sitz des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, die menschenverachtende Lehre von der »Rassenhygiene«. Wie der Historiker Hans-Walter Schmuhl erläutert, stellte sich das Institut, unter Leitung des Eugenikers Eugen Fischer, 1933 »wissentlich und willentlich« in den Dienst der Nationalsozialisten. Bereits zuvor hatte Fischer seine pseudowissenschaftliche Rassenlehre entworfen, in deren Kontext er Schädel vermaß. Im Jahr 1921 rief er in der Deutschen Kolonialzeitung dazu auf, tierische und menschliche Schädel aus den Kolonien an ihn zu verschicken. Im Nationalsozialismus dann hatte das Institut eine »Schlüsselposition bei der Aussonderung von Juden, Sinti und Roma und Menschen mit Behinderung« erklärt Schmuhl. So untersuchte etwa die Biologin Karin Magnussen die Augen von im Konzentrationslager Auschwitz ermordeten Sinti und Roma, die ihr von dem dort als Arzt tätigen Kriegsverbrecher Josef Mengele zugeschickt worden waren. »Ob weitere Knochen und Skelette möglicherweise durch Mengele an das Institut geschickt worden sind, lässt sich nicht mit Sicherheit belegen«, sagt Schmuhl. Klar ist für den Historiker, dass die Mitarbeiter*innen des Instituts Teil an den Staatsverbrechen der Nationalsozialisten hatten. Dieser Kontext macht die Funde der Gebeine so sensibel.
Die Untersuchung
Susan Pollock hat seit 2015 Baustellen auf dem Gelände der Freien Universität archäologisch begleitet. Ein Ergebnis ihrer Untersuchungen ist, dass die Knochen von Tieren und Menschen, die auf dem Campus gefunden wurden, aus Sammlungen des Kaiser-Wilhelm-Institutes stammen. Die Tierknochen stammen den Ergebnissen zufolge vor allem von Kaninchen und Ratten, bevorzugte Versuchstiere. »Bei der Mehrheit der menschlichen Knochen steht man vor einem Rätsel. Es kann nicht mehr rekonstruiert werden, wie sie ursprünglich zusammengehörten«, erläutert die Archäologin. In nichtinvasiven osteologischen Analysen konnte ihr Team feststellen, dass die Knochen von Menschen aller Altersgruppen und Geschlechter stammen. Die Zusammensetzung entspreche jedoch keiner typischen anthropologischen oder archäologischen Sammlung des 19. oder der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bei Radiokarbon-Datierungen zweier Tierknochen wurde festgestellt, dass diese aus Zeiträumen von 1193-946 und 1737-1530 vor unserer Zeit stammen. Dies könne darauf hindeuten, dass auch die menschlichen Knochen aus älteren Sammlungen stammen. Untersucht wurde dies jedoch nicht, weil für viele Menschen eine invasive Analyse der Knochen nicht akzeptabel sei, so Pollock. Allerdings fand sich in den Gruben auch ein Teil des Gipsabdrucks eines Mannes, der, wie die Archäologin erklärt, nicht vor 1917 hergestellt worden sein könne. Sie ergänzt, dass Gipsformungen während der Kolonialzeit besonders beliebt waren. Es lässt sich nicht ausschließen, dass einige der menschlichen Überreste aus Unrechtskontexten der Kolonialzeit oder des Nationalsozialismus stammen. »Es ist nicht viel darüber bekannt, warum die Knochen auf dem Institutsgelände vergraben wurden«, erklärt Pollock. Zwei der Gruben stammten wohl aus den 1960er und 1970er Jahren. Allerdings deuteten der Ort und die Tiefe der Gruben darauf hin, dass die Knochen versteckt werden sollten. Die Wissenschaftlerin resümiert: »Die Knochenfunde verweisen auf einen gewissenlosen Forschungsrassismus, der nicht nur lebende Menschen, sondern auch ihre Überreste mit Verachtung behandelte.«
Die Debatte
Vorab wurden der Zentralrat der Juden in Deutschland und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eingeladen, um über den Umgang mit den Knochenfunden zu beraten. Dort wurde sich gegen eine invasive Untersuchung der Knochenfragmente ausgesprochen. Besprochen wurde in diesem Rahmen auch, dass die menschlichen Überreste würdig, aber nicht religiös bestattet werden, erklärt der Präsident der Universität, Ziegler. Zudem solle auf dem Areal ein Gedenkort für die Opfer des Instituts entstehen, der kenntlich mache, was dort geschehen ist. Aktuell arbeitet die Historikerin Manuela Bauche an dem Projekt »Geschichte der Ihnestr. 22«, wo sich das Institut einst befand.
Kritisch diskutiert wurde im Rahmen der Veranstaltung, dass zu diesen Vorgesprächen keine Organisationen der Schwarzen und afrikanischen Community und von Menschen mit Behinderung eingeladen waren. Tahir Della vom Bündnis Decolonize Berlin sagt zu »nd«: »Wenn Konsens ist, dass diese Knochen nicht mehr auf ihre Herkunft untersucht werden sollen, muss sichergestellt werden, dass bei dem Gedenken an die Opfer des Kaiser-Wilhelm-Instituts auch jene aus dem kolonialen Kontext einbezogen werden.« Das Bündnis fordert außerdem die systematische Aufarbeitung des Missbrauchs von Körpern für rassistische pseudowissenschaftliche Zwecke. Bis heute liegen Tausende menschliche Gebeine in den Depots Berliner Museen.
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