- Berlin
- Berlin
Die Stadt kauft sich zurück
Große Hausgemeinschaft will ihr Haus nun selbst kaufen, Tausende unterschreiben für Enteignungen
Eine Hand ist noch frei, in der anderen trägt er eine Einkaufstüte. »Wo kann ich unterschreiben?«, fragt der Mitte 40-jährige Mann, der vor dem Haus in der Hermannstraße 48 an den Unterschriftenstand von Deutsche Wohnen & Co enteignen herantritt. Nein, Informationen braucht er nicht, danke, er hat es eilig. Der Neuköllner ist auch nicht wegen der mietenpolitischen Kundgebung gekommen, die hier am Samstagnachmittag beginnt, er will nur schnell unterschreiben. Dafür, dass es im September ein Volksbegehren gibt, dass große Wohnungskonzerne vergesellschaftet werden können, damit es eine Rückführung des dringend benötigten Wohnraums in die kommunale Hand geben kann.
Es sind viele Menschen, die an diesem Wochenende hier ihre Unterschrift leisten. Zwei Tage nach Beginn der Sammlung von knapp 180 000 benötigten Unterschriften sei man schon »deutlich im fünfstelligen Bereich«, sagt Rouzbeh Taheri von der Initiative am Sonntag zu »nd«. Das Engagement der vielen Helfer*innen ist groß angesichts des ehrgeizigen Ziels. »Wir müssen den Spekulanten die Häuser wegnehmen und sie den Berliner und Berlinerinnen zurückgeben«, ruft ein Redner am Samstag den rund 100 Menschen zu, die der Einladung der »H48« gefolgt sind.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die Neuköllner Hausgemeinschaft berichtet an diesem Nachmittag über den aktuellen Stand des Kampfes der 140 Mieter*innen um das Haus, in dem sie leben und arbeiten. Vor einer Woche hatte der Bezirk Neukölln für die von der Hausgemeinschaft gegründete Hermanes48 GmbH in Verbindung mit dem Mietshäuser-Syndikat das Vorkaufsrecht ausgeübt. Auch der zuständige Stadtrat Jochen Biedermann (Grüne) ist auf der Kundgebung und sucht das Gespräch mit Mieter*innen.
Damit sei man einen großen Schritt vorangekommen, erklären die Vertreter*innen der »H48«. Und ihrem Ziel, Vorderhaus, Quergebäude, Seitenflügel, Fabrikgebäude und Projektraum in Selbstverwaltung zu betreiben, ein Stückchen näher. Bei all dem Hickhack der vergangenen Wochen war das keinesfalls selbstverständlich: Die Hausgemeinschaft hatte den Drittkauf durch eine Genossenschaft bevorzugt und innerhalb von wenigen Wochen auch organisiert. Auf Anweisung des Senats hatte sich dann aber eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft bereitgestellt, was zur Folge hatte, dass keine öffentlichen Fördermittel mehr für die Genossenschaft eingesetzt werden konnten, woraufhin diese sich schließlich gegen den Kauf entschied. Ob der nun erfolgte Erwerb durch die »H48« wirklich erfolgreich ist, entscheidet sich erst in den nächsten Wochen. Noch sind nicht alle Rechtsmittel der Erstkäuferin ausgeschöpft.
Als die Kundgebung beendet ist, ziehen die Unterschriftensammler*innen von Deutsche Wohnen & Co enteignen weiter. Nicht immer werden sie an diesem Wochenende so freundlich empfangen wie in Neukölln, wo die Mieten in den letzten Jahren nahezu um das Doppelte gestiegen sind und sich immer mehr Hausgemeinschaften gegen die drohende Verdrängung wehren, die ihnen beim Verkauf der Häuser durch Eigentumsumwandlung, Luxussanierung oder unnötige Modernisierungsmaßnahmen sowie den damit verbundenen Mieterhöhungen droht. Die Immobilienlobby in Berlin schießt massiv gegen die Initiative. »Es wurde behauptet, dass wir massenhaft Sachbeschädigungen begangen haben«, erklärt Rouzbeh Taheri, angesprochen auf Vorwürfe, Plakate der Initiative seien nicht gesetzeskonform angebracht worden. Es seien Anzeigen wegen Verstößen gegen die Hygieneverordnung angekündigt worden, aber »die entsprechenden Mitarbeiter von Polizei und Ordnungsämtern waren nicht darüber informiert, dass unsere ehrenamtliche Tätigkeit davon ausgenommen ist«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.