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Angeblich von nichts gewusst
Freispruch für Frankreichs Ex-Premier Édouard Balladur im Prozess um illegale Wahlkampffinanzierung
Ein Sondergericht hat am Donnerstag in Paris den ehemaligen Regierungschef Édouard Balladur (91) freigesprochen und seinen Verteidigungsminister François Léotard (78) zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung und 100 000 Euro Geldstrafe verurteilt. Während man Balladur nicht nachweisen konnte, dass er von der illegalen Finanzierung seines Wahlkampfes 1995 gewusst hat, wurde Léotard in diesem Zusammenhang Beihilfe zum Betrug und zur Veruntreuung öffentlicher Gelder nachgewiesen. Der »Gerichtshof der Republik« wird nur ad hoc gebildet für Verfahren gegen ehemalige Regierungsmitglieder bei Vergehen in ihrer Amtszeit und setzt sich aus drei Richtern und zwölf Parlamentariern zusammen.
Im Präsidentschaftswahlkampf 1995, bei dem der damalige Premierminister Édouard Balladur kandidiert und gegen seinen »Parteifreund« und Erzfeind Jacques Chirac verloren hat, kam ein Teil der Wahlkampfgelder nachweislich aus Geheimfonds der Regierung und von ausländischen Geschäftsleuten. Die hatten Anfang der 1990er Jahre Waffengeschäfte Frankreichs mit Saudi-Arabien und Pakistan vermittelt und bekamen dafür Kommissionszahlungen in zweistelliger Millionenhöhe.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Bei den Verhandlungen darüber wurde von französischer Seite gefordert und zwischen den Partnern vereinbart, dass ein Teil davon als »Retro-Kommissionen« über Schweizer Konten zurücküberwiesen wird. Diese Gelder landeten schließlich in der Kasse für den Wahlkampf Balladurs. Beide Angeklagten haben mit dem Ausdruck größter Empörung alle Vorwürfe zurückgewiesen und antworteten auf Fragen des Gerichts nur vage und ausweichend.
Im Prozess kam beispielsweise zur Sprache, dass 10 050 000 Francs in bar auf das Wahlkampfkonto eingezahlt wurden, nachdem der libanesische »Waffenmakler« Ziad Takieddine drei Tage zuvor bei einer Bank in Genf genau 10 050 000 Francs abgehoben hat und in bar ausgezahlt bekam. Balladur behauptete später auf die Frage nach der Herkunft dieser zehn Millionen, dass dies »Spenden und Einnahmen aus dem Verkauf von T-Shirts« waren. Das war gelogen, denn es handelte sich nachweislich um druckfrische 500-Francs-Scheine.
Unstimmigkeiten bei der Finanzierung von Balladurs Wahlkampf 1995 waren bereits Monate später bei der Prüfung der Wahlkampfkosten durch den Verfassungsrat aufgefallen. Trotzdem wurde das seinerzeit nicht beanstandet und untersucht, sondern stillschweigend zu den Akten gelegt.
Der Skandal kam erst durch Recherchen von Journalisten über den Selbstmordanschlag ans Tageslicht, bei dem 2002 in der pakistanischen Hafenstadt Karatschi elf französische Techniker ums Leben kamen. Sie hielten sich dort auf zur Übergabe von in Frankreich gebauter U-Boote an die pakistanische Marine. Die Journalisten glauben an einen Racheakt dafür, dass die Kommissionszahlungen abrupt eingestellt wurden, als Chirac nach seinem Amtsantritt als Präsident von Balladurs illegalen Finanzoperationen erfahren hat. Der Zusammenhang mit dem Terrorakt konnte allerdings in den juristischen Untersuchungen nie zweifelsfrei nachgewiesen werden.
Dass diese sich über fast zwei Jahrzehnte hinzogen, liegt an Hinhaltemanövern während der Amtszeiten der Präsidenten Jacques Chirac (1995-2007) und Nicolas Sarkozy (2007-2012). Beide waren in den Fall verwickelt: Chirac durch die gestoppten Kommissionszahlungen und Sarkozy, weil er 1995 Budgetminister war und den Wahlkampf für Balladur geleitet hat. Sie kamen später selbst vor Gericht für die illegale Finanzierung ihrer eigenen Wahlkämpfe , doch nie für den von Balladur.
Eine Untersuchungskommission der Nationalversammlung kam 2009 zu keinem Ergebnis, weil ihr die meisten angeforderten Dokumente als »geheim im Interesse der nationalen Sicherheit« vorenthalten wurden und Beamte des Wirtschafts- und Finanzministeriums, die sie anhören wollte, Redeverbot bekamen.
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