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Unterstützung im Kampf um Gewerkschaftsvertretung
Für Black-Lives-Matter-Aktivisten ist die Abstimmung in einem Amazon-Logistikzentrum »schwarze Befreiung in Aktion«
»Heute und in den nächsten Tagen und Wochen stimmen Arbeiter in Alabama und überall in den USA über die Vertretung durch eine Gewerkschaft ab«, sagt US-Präsident Joe Biden in einem Twitter-Video, in dem er wie lange kein Präsident mehr explizit Gewerkschaften unterstützt. Die sollte man »fördern«, so Biden unter Berufung auf den 1935 im Zuge des New Deal verabschiedeten National Labor Relations Act. Ohne Amazon beim Namen zu nennen, erklärte er zudem, es dürfe »keine Einschüchterung, keinen Zwang, keine Drohungen, keine Anti-Gewerkschaftspropaganda« geben.
Das könnte zumindest einige vielleicht zweifelnde Arbeiter eines Logistikzentrums in Bessemer, nahe von Birmingham, im Bundesstaat Alabama ermutigen. Sie stimmen noch bis Ende März ab, ob die 5800 Beschäftigten vor Ort in Zukunft durch die Einzelhandelsgewerkschaft RWDSU vertreten werden sollen. Es wäre der erste gewerkschaftlich organisierte Amazon-Standort im Land.
Vor fast genau zehn Jahren hatte sich der damalige US-Präsident Barack Obama geweigert, Massenproteste gegen die gewerkschaftsfeindliche Politik des Republikaner-Gouverneurs in Wisconsin deutlich zu unterstützen. Gewerkschaftshistoriker loben vor diesem Hintergrund das Biden-Video als Paradigmenwechsel und Vorbild: »Politiker halten immer große Reden bei Gewerkschaftskongressen, vermeiden dann aber gewerkschaftliche Organisierungskampagnen, weil sie scheitern können«, erklärte Nelson Lichtenstein von der University of California.
Der Onlinehändler Amazon ist nach der Supermarktkette Walmart der zweitgrößte Arbeitgeber in den USA und hat in der Corona-Pandemie ein Rekordwachstum bei Bestellungen und Gewinn verzeichnet. »Amazon behandelt seine Mitarbeiter unmenschlich, wie Roboter«, sagt Jennifer Bates. Die schwarze Frau arbeitet im Logistikzentrum in Bessemer und unterstützt die RWDSU trotz der Tatsache, dass sie und die anderen Beschäftigten ständig per SMS vom Konzern gewarnt werden, sie könnten mit der Gewerkschaft finanziell schlechter dastehen. Dies ist nur eine von vielen Taktiken, um die Mitarbeiter umzustimmen. Immer wieder wird auch subtil mit der Schließung des Standortes gedroht.
Parteilinke bei den Demokraten fordern von Biden und seiner Vizepräsidentin Kamala Harris auch, vor Ort aufzutreten. »Natürlich, Unterstützung durch die Biden-Regierung würde helfen«, erklärt etwa Bren Riley, Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO in Alabama. Fünf Abgeordnete der Demokraten aus dem Repräsentantenhaus wollen indes an diesem Freitag nach Alabama reisen, darunter auch die ehemalige Black-Lives-Matter-Aktivistin Cori Bush. Da 80 Prozent der Amazon-Arbeiter in Bessemer schwarz sind, sei die Gewerkschaftswahl »schwarze Befreiung in Aktion«, so Bush.
Das zeigt: Die Gewerkschaftskampagne in Alabama wird immer mehr zur Stellvertreter-Auseinandersetzung im Kampf um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei dem Digitalkonzern. AFL-CIO wie auch mehrere pro-gewerkschaftliche Gruppen schalteten Fernsehwerbung zur Unterstützung der Gewerkschaftswahl im Umfang von 75 000 Dollar, damit nicht Anti-Gewerkschaftsanzeigen die Werbepausen im Fernsehen dominieren. Denn: Amazon könnte über 25 Millionen Dollar ausgeben, um den Organisierungsversuch zu torpedieren. Das fast rein weiße Management in Bessemer betrachtet zudem offenbar die schwarzen Anwälte einer auf »Union Busting« spezialisierten Kanzlei als glaubwürdigere Überbringer von gewerkschaftsfeindlicher Propaganda, die Mitarbeiter bei sogenannten Informationsveranstaltungen anhören müssen. Auch auf den Toiletten im Amazon-Zentrum in Bessemer sind entsprechende Flyer ausgehängt.
Die Beschäftigten bekommen außerdem offenbar dieser Tage sogenannte Kündigungsprämien von - je nachdem, wie lange sie bereits beschäftigt sind - 1000, 2000 oder 3000 Dollar angeboten, wenn sie den Konzern kurzfristig verlassen. Wer das Unternehmen verlässt, kann nicht mehr an der Abstimmung über die Gewerkschaftsvertretung teilnehmen. »Das sollte illegal sein, Amazon versucht wirklich alles«, erklärte die Mitarbeiterin Jennifer Bates. Kündigungsprämien würden juristisch als Bestechungsversuche angesehen, erklären zudem Arbeitsrechtler. Sollte die Gewerkschaft RDWSU die Wahl verlieren, könnten sie die Bundesbehörde, welche die Wahl überwacht, auffordern, die Abstimmung zu wiederholen.
Die Belegschaft sei »gespalten«, heißt es derweil in einem Bericht des Wirtschaftsmediums Bloomberg. Die Eröffnung des Amazon-Logistikzentrums im März 2020 brachte nämlich dringend benötigte Arbeitsplätze in eine von Deindustrialisierung geplagte Region. Viele Gewerkschaftsorganizer und Angestellte wie Bates sind daher nervös: »Es fühlt sich an, wie vor einer Wand zu stehen, und man weiß nicht, was auf der anderen Seite ist. Aber manchmal muss man diesen Schritt gehen im Leben«, so die Amazon-Mitarbeiterin. Am 29. März ist übrigens der letzte Tag, an dem abgestimmt werden kann.
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