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»Welche Frauenbilder wollen wir?«

30 Prozent der Stadionbesucher im Fußball sind weiblich. Doch weder in den Führungsgremien der Klubs noch in den aktiven Fanszenen sind Frauen ausreichend sichtbar, kritisiert Fanaktivistin Helen Breit

Sie waren ein Jahr nicht mehr im Stadion - wie sehr sind Sie entwöhnt vom Fußball?

Fußball im Stadion fehlt mir, er hat lange Zeit einen großen Teil meines Lebens ausgemacht, ich bin zu allen Spielen gefahren. Jetzt haben sich die Debatten eben vom Stadionerlebnis auf eine fanpolitische Ebene verlagert. Auf eine Art gerät das Stadion immer mehr in Vergessenheit. Ich weiß genau, was für mich das Großartige am Stadionbesuch ist: Aber es ist einfach schon sehr, sehr lange her, dass ich das auch spüren konnte.

Helen Breit

Seit sie fünf ist, besucht die heute 33-jährige Helen Breit die Spiele des SC Freiburg - jetzt schon viele Jahre als Mitglied der Fangruppierung »Supporters Crew«. Die studierte Sozialarbeiterin ist Erste Vorsitzende der bundesweiten Fanorganisation »Unsere Kurve« und engagiert sich zudem bei der Initiative »Zukunft Profifußball« sowie im »Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt«. Mit Jirka Grahl sprach sie über alltäglichen Sexismus, der Frauen im Fußball begegnet, und darüber, wie man ihn bekämpfen kann.

Es gibt nicht so wenige Leute, die sagen, anfangs habe ihnen der Stadionbesuch wahnsinnig gefehlt, aber jetzt finden sie den Samstag auch ohne Fußball ganz schön ...

Die Erfahrung machen viele Menschen, auch ich. Die Wochenenden waren vorher von den Spieltagsterminen geprägt. Jetzt ist zu sehen: Je schöner das Wetter, desto eher merkt man, dass man viele andere schöne Sachen machen kann außer Fußballspiele besuchen.

Es gibt Untersuchungen, denen zufolge bis zu 30 Prozent der Stadionbesucher in der Bundesliga Frauen sind. Ist das in Freiburg auch so? Oder besser?

Viele Leute von außen denken, dass wir da in Freiburg über dem Durchschnitt liegen. Doch als wir vor der Ausstellung »Fan.Tastic Females« für eine Podiumsdiskussion die weiblichen Menschen aus den Leitungsebenen und Vereinsgremien des SC anschreiben wollten, sind wir leider nur auf drei, vier Frauen gekommen: Weil es nicht mehr gibt.

Wie ist der Anteil unter den aktiven Fans?

Nicht nur bei uns in Freiburg gilt: Je aktiver die Fanszene, desto geringer wird der Frauenanteil. Unter denen, die nur gelegentlich die Spiele besuchen, sind deutlich mehr Frauen, als unter denen, die alle Heim- und Auswärtsspiele anschauen.

Haben Sie die Klubverantwortlichen auf den Frauenmangel in den Führungsgremien aufmerksam gemacht?

Klar, wir thematisieren das schon länger. Das fängt mit geschlechtergerechter Sprache an: Wen adressiert der Verein in seiner Anrede? Welche Frauenbilder möchte der SC aufzeigen in seinem Vereinsumfeld? Und natürlich: Warum finden wir eigentlich nur vier Frauen in unseren Vereinsgremien und Führungsebenen? Diese Fragen stellen wir.

Gibt es einen Verein, von dem Sie sagen würden, der ist schon weit voraus in Sachen Gleichstellung?

Ich weiß, dass es bei St. Pauli einen Antrag für die Einführung einer Frauenquote gibt, der von allen Gremien mitgetragen wird. Die Entscheidung wird auf der nächsten Mitgliederversammlung getroffen. Um da in einem positiven Stereotyp zu bleiben: Wenn so was gelingt, dann zuerst bei St. Pauli, oder? Strukturen im Profifußball lassen sich nicht einfach so verändern. Damit Frauen sichtbarer werden, muss man eingreifen.

Ist eine Quote ein gutes Mittel dafür?

Ich würde gerne sagen, wir brauchen eine Quote nicht. Aber die Geschichte zeigt, dass sich nichts verändert, wenn man nicht strukturell eingreift. Man braucht eine Übergangsregelung, an der wir festhalten, bis der Zielzustand erreicht ist.

Sie engagieren sich im Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im Fußball. Haben Sie selbst im Stadion schon oft Sexismus oder gar sexualisierte Gewalt erfahren müssen?

Das ist ein bisschen so, als wenn man eine Frau fragt, ob sie in der Kneipe oder der Disco schon mal Sexismus oder sexuelle Belästigung erfahren hat. Ich kenne keine Frau, die dann sagt: Nein, mir wurde noch nie an den Hintern gegrapscht, ich musste noch nie anzügliche Bemerkungen erdulden. Oder die - in einem anderen Kontext - sagt, sie habe nie das Gefühl gehabt, sich als Frau mehr anstrengen zu müssen, damit ihre Kompetenz anerkannt wird. Ich versuche das über die bundesweite Arbeit in der Öffentlichkeit zum Thema zu machen, und auch in Freiburg haben wir Sexismus und sexualisierte Gewalt immer wieder thematisiert. Deswegen haben andere weibliche Fans angefangen, mir zu erzählen, was ihnen passiert ist.

Was ist den Frauen passiert?

Es kann ein aufgedrängter Kuss beim Torjubel von deinem Sitznachbarn sein. Es kann eine andere Form von Aufdringlichkeit und Grenzüberschreitung sein. Bis hin zu einer Vergewaltigung, über die ja medial ausführlich berichtet worden ist und bei der es unterschiedliche juristische Bewertungen gibt. Es ist wichtig zu wissen, dass sexualisierte Belästigung und Gewalt im Fußballumfeld genauso passieren kann wie anderswo. Wir haben aber nicht genug Zahlen, um etwas über die Anzahl der Vorfälle im Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Bereichen zu sagen.

Was kann ein Mensch tun, der im Stadion oder beispielsweise bei der Anreise Zeuge wird von Sexismus?

Wenn jemand von sexualisierter Gewalt betroffen ist, ist es ganz wichtig, jede Handlung an den Bedürfnissen der betroffenen Person auszurichten. Also dann nicht noch mal übergriffig zu werden und sagen: Ich handele jetzt für dich, sondern zu fragen: Was brauchst du in dem Moment. Brauchst du einen Schutzraum? Dann stellt sich aber gleich die strukturelle Frage: Gibt es im Stadion überhaupt einen Schutzraum, in den man sich zurückziehen kann? Weiß jemand, wen man ansprechen kann? Sind alle Ordnerinnen und Ordner geschult und wissen, dass zum Beispiel ein Vorfall mit sexualisierter Gewalt ganz andere Mechanismen braucht als ein »klassischer« sicherheitsbezogener Vorfall im Fußballstadion?

Was können die Vereine tun?

Die müssen Angebote machen, proaktiv. Wenn sie Sexismus und sexualisierte Gewalt thematisieren, heißt das doch nicht, dass sie da ein besonders großes Problem haben, sondern dass sie besonders verantwortlich damit umgehen. In Darmstadt - um mal ein Beispiel rauszupicken - gibt es ein eigenständiges Konzept für eine Anlaufstelle im Stadion. So etwas gibt es bald auch andernorts, eine Übersicht über die verschiedenen Ansätze und Konzepte veröffentlichen wir bald über das Netzwerk. Es gab in Düsseldorf, als man noch ins Stadion gehen konnte, ein Notfalltelefon für Vorfälle im Bereich sexualisierte Gewalt/Belästigung.

Das Problembewusstsein für Sexismus in der Gesellschaft ist gestiegen. Haben Sie das Gefühl, dass das Thema auch im Fußball ernsthaft angegangen wird?

Ich habe den Eindruck, dass das Thema sexualisierte Gewalt gesamtgesellschaftlich auf der Agenda steht. Das bewirkt, dass auch im Fußball die Diskussion darüber nicht abebbt. Aus Fankreisen gibt es schon seit Langem ein Engagement gegen Sexismus, auch gegen sexualisierte Gewalt - in der professionellen Fanarbeit, aber auch in Netzwerken von Fans. Es passiert immer mehr, aber natürlich stößt das Ehrenamt auch immer an seine Grenzen. Da sehe ich die Vereine und die Verbände in der Pflicht, Netzwerke anzubieten, Wissen zu vermitteln, aber auch eigenständig Ansprechpersonen und Strukturen anzubieten.

Bei allem, was es zu kritisieren gibt: Wie sehr sehnen Sie sich nach dem Stadionbesuch?

Sehr, so schnell gibt man seine Leidenschaft doch nicht auf! Sonst würde es keinen Sinn machen, sich dafür einzusetzen, dass das Stadion ein Ort ist, an dem jeder Mensch seine Fußballleidenschaft im positivsten Sinne ausleben kann.

Am Montag ist Frauentag: Was würden Sie sich wünschen im Sinne aller Frauen, die ins Stadion gehen?

Ich würde mir wünschen, dass Frauen das Stadion und die Vereine als diskriminierungsfreie Räume erleben können und dass Frauen in allen Ebenen des Fußballs selbstverständlich repräsentiert sind und dort mit ihren Kompetenzen, ihren Wünschen und ihren Leidenschaften gleichberechtigt vertreten sein können.

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