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Entfesselter Machtkampf in Brasilien
Annullierung der Urteile gegen Lula ist nur ein Teilsieg der Gerechtigkeit und Ausdruck zugespitzter Konflikte
Die Urteile gegen ihn sind erst einmal kassiert. Was fängt Lula mit seinen gerade wiedererlangten politischen Rechten an, lautet die große Frage in der brasilianischen Politik. Eine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2022 hat der Politiker der Arbeiterpartei PT mit Blick auf sein Alter von 75 Jahren zuletzt als eher unwahrscheinlich erscheinen lassen. Definitiv ausgeschlossen hat er ein solches Duell mit Jair Bolsonaro aber auch nicht. Und ein Blick nach Washington zu Joe Biden zeigt, dass auch ganz erfahrene Kräfte noch ziehen können. Aus ist die Maus dafür wohl für Sérgio Moro, bis zum vergangenen April Minister für Justiz und öffentliche Sicherheit. Der vorgebliche große Korruptionsbekämpfer und mögliche Kandidat der Rechten jenseits von Bolsonaro steht endgültig blamiert da.
»Mit Gelassenheit« hat die Verteidigung des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva nach eigenen Worten die Entscheidung des Obersten Richters Edson Fachin aufgenommen, ihrem Habeas-Corpus-Antrag von Anfang November zu entsprechen und vier Urteile gegen ihren Mandanten aufzuheben. Die Anwälte betonen, dass sie die mit dem richterlichen Entscheid nun anerkannte Nichtzuständigkeit der 13. Kammer des Kriminalgerichts in der südbrasilianischen Stadt Curitiba für die Verfahren gegen den PT-Politiker seit deren Anbeginn 2016 und immer in Beschwerden deutlich gemacht hatten. Denn die »absurden Anklagen« gegen Lula der »Task Force«, wie sich die Ermittlergruppe im Petrobras-Korruptionsskandal nannte, hätten »nie einen konkreten Bezug zu illegalen Handlungen« bei dem Energiekonzern erkennen lassen. Für Prozesse in diesem Kontext war Curitiba vom Obersten Gericht zuständig gemacht worden.
Der dortige Bundesrichter Sergio Moro hatte Brasiliens prominentesten Linken mit mehreren Anklagen und großem Verfolgungseifer ins Visier genommen. Sein Urteil im Prozess um eine Lula zugeschriebene »Triplex«-Luxuswohnung in Guarujá im Bundesstaat São Paulo brachte diesen im April 2018 mit einer langjährigen Haftstrafe zunächst für ein Jahr und sieben Monate ins Gefängnis und warf den PT-Kandidaten Lula als aussichtsreichsten Bewerber aus dem Rennen um die Präsidentschaft im selben Jahr. Ähnlich konstruiert wurde ein Fall, der sich Landsitz eines alten Freundes des Ex-Präsidenten in Atibaia drehte. Die konservativen Leitmedien wurden mit »Enthüllungen« gefüttert, um damit Rufmord an Lula begehen zu können. Moro und das Ermittlerteam der »Operation Autowäsche« (Lava Jato) stellten für den Wahlsieg von Jair Bolsonaro im Oktober 2019 entscheidende Weichen. Bei ihren Manövern kooperierten sie eng und außerhalb des Rechts mit dem US-amerikanischen FBI.
Bereits seit Juni 2019 hatte das Portal »The Intercept« zusammen mit der liberalen Tageszeitung »Folha de São Paulo« Details aus privaten Telegram-Chats der »Lava Jato«-Korruptionsermittler und des Richters, der sich nach Bolsonaros Wahl mit dem Posten Justizministers belohnen ließ, veröffentlicht. Sie belegen das abgekartete Spiel und die politischen Motive hinter der Justizfarce. Die Uhr tickte erst recht, als das Oberste Gericht vor gut einem Monat den von dem Hacker Walter Delgatti Neto - früher mal Lava-Jato-Fan - bei Moro & Co. erbeuteten Datenschatz Lula und Genossen zugänglich machte. Sichergestellt hatten die Dialoge die Behörden 2019 im Rahmen der »Operation Spoofing«.
Für die Verteidigung von Lula ist die Annullierung der Unrechtsurteile der bisher größte Erfolg in einem zähen, seit fünf Jahren andauernden Ringen. Die Entscheidung, betonen die Anwälte, habe nicht die Macht, den »irreparablen Schaden zu reparieren«, den Ex-Richter Moro und die »Lava Jato«-Staatsanwälte »Lula, dem Justizsystem und dem demokratischen Rechtsstaat zugefügt haben«. Auch der Oberste Gerichtshof, dessen Mitglieder linker Sympathien weitgehend unverdächtig sind, hat sich in der Causa Lula keineswegs durchgehend als Hüter demokratischer Rechte gezeigt. Nach Drohungen aus der Militärführung ließ er 2018 Lulas Inhaftierung vor Ausschöpfung aller Rechtsmittel zu. Allerdings sind die Richter auch Zielscheibe der Bolsonaristen, da die Institution dem autoritären Staat noch Grenzen setzt. In einer politisierten Justiz ist auch das Oberste Gericht Schauplatz von Fraktionskämpfen.
Am Dienstagnachmittag (Ortszeit) wollte sich Lula selbst mit einer Videoansprache an die Öffentlichkeit wenden.
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