Kann man sich das Leben ausrechnen?

Nikola Huppertz über einen Zwölfjährigen, der die Welt nicht mehr versteht

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.

Bis gestern hatte Malte nicht ein einziges Problem. Wenn man mal von den Doppelstunden in Deutsch bei der Ullrich absieht. Die immer mit ihren Gedichten, und was man dazu wohl sagt als Schüler. Am liebsten gar nichts. Gedichte sind irgendwie schwurblig und enthalten keine richtigen Sätze, jedenfalls keine logischen, findet Malte. Er will dazu gar nichts sagen, höchstens mit den Achseln zucken.

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Nikola Huppertz: Schön wie die Acht.
Illustr. v. Barbara Jung. Tulipan. 240 S., geb., 14 €.

Ihm reichen seine Matheaufgaben, in denen geht er voll auf. Sinus, Kosinus, Kotangens. Komplizierte Lösungswege, auf die der 12-Jährige ganz allein kommt, ohne die Hilfe von Mathelehrer Zerhusen. Malte ist sehr gut in Mathe. So gut, dass er ausnahmsweise schon seit der 5. Klasse im Matheklub der Schule mitmachen darf, obwohl das Angebot eigentlich erst von der 7. Klasse an gilt. Hier bereiten sich alle auf die Landesrunde zur Mathematikolympiade vor.

Aber das waren, wie gesagt, die Problemchen von gestern. Nicht der Rede wert, wenn man bedenkt, was danach kam. Heute sitzt Malte plötzlich am Frühstückstisch seiner 16-jährigen und vollgepiercten Halbschwester gegenüber, die er zum ersten Mal sieht und die auch gleich bei Mama, Papa und Malte einzieht. Und das Schärfste: Sie wird in Maltes Schule gehen, bis ihre Mutter aus der Rehaklinik kommt und sich wieder um sie kümmern kann. Nicht mit ihm, denkt sich Malte. Wie peinlich ist das denn? Hat ihn überhaupt jemand gefragt, ob ihm das passen würde? Und wie soll er das Kolja, Mats und Philipp in der Schule erklären?

Doch der Umgang mit dieser komischen Schwester ist noch lange nicht das einzige Problem, des der Junge am Beginn seiner Pubertät lösen muss, vielleicht noch nicht einmal das komplizierteste. Es kommen noch verzwicktere dazu: eine schwere Krankheit, die erste Liebe, enttäuschende Eltern und die bittere Erkenntnis, auch selbst nicht unfehlbar zu sein. Irgendwie ist es wie bei einer Matheaufgabe: Manchmal liegt die Lösung auf der Hand, manchmal verrennt man sich und kommt erst auf Umwegen zum Ziel, manchmal gelingt das überhaupt nicht. Das Leben - eine einzige Matheaufgabe?

Nikola Huppertz, der psychologisierenden und musizierenden Schriftstellerin aus Mönchengladbach, ist ein temporeicher und spannender Roman über das »ganz normale« Lebens- und Gefühlschaos eines Kindes an der Schwelle zum Jugendlichen gelungen. Vor allem hat die Mutter zweier Kinder es geschafft, ganz und gar ohne übertriebene, anbiedernde Kinder-Jugend-Sprache oder das, was Erwachsene dafür halten, auszukommen. Sie bewegt sich in ihrer Wortwahl sicher und angemessen auf dem Niveau der 12- bis 17-Jährigen, über die sie schreibt und die sie offenbar sehr gründlich studiert hat.

Ihre Auswahl der Schwierigkeiten, in denen sich die jugendlichen Protagonisten befinden, entspricht genau denen, um die sich aber im Alltag weniger gekümmert wird. So werden wohl zahlreiche Heranwachsende damit klarkommen müssen, Geschwister aus den vorherigen oder nachfolgenden Beziehungen ihrer Väter oder Mütter mit anderen Lebenspartnern zu haben, die sie nicht kennen oder die einfach verschwiegen werden. Dabei gibt es auch für diese ganz und gar unmathematischen Aufgaben des Lebens eine Lösung. Die braucht als erste Voraussetzung Gesprächsbereitschaft. Egal, wie alt die Betroffenen sind.

In der Realität dürfte es dabei nicht in jedem Fall so glatt und gut ausgehen wie in Huppertz’ Geschichte von der schönen Acht. Aber das friedliche Ende macht wiederum Mut.

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