»Das Vertrauensverhältnis ist gestört«

Yana Mark sieht rechtliche Möglichkeiten, Bernd Wiegand, Oberbürgermeister von Halle, wegen Impfdrängelei des Amtes zu entheben

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Mehrheit der Stadträte in Halle/Saale will den parteilosen Oberbürgermeister Bernd Wiegand wegen dessen vorzeitiger Impfung gegen das Coronavirus die Führung seiner Dienstgeschäfte verbieten. Was werfen Sie ihm konkret vor?
Zum einen das Offensichtliche: dass er sich vorgedrängelt hat. Da geht es nicht nur um die Frage, wer geimpft wurde, sondern auch, wer nicht: medizinisches Personal und ältere Menschen, die jeden Tag verzweifelt versuchen, einen Impftermin zu bekommen. Der andere Vorwurf: völlige Uneinsichtigkeit.

Grundlage für den bei der außerordentlichen Stadtratssitzung am Montag zu fassenden Beschluss ist das Beamtenstatusgesetz. Was steht da genau?
Sinngemäß: Einem Hauptverwaltungsbeamten und somit auch einem Oberbürgermeister ist die Führung der Dienstgeschäfte zu verbieten, wenn zu befürchten ist, dass bei weiterer Anwesenheit im Amt entweder Verdunklungsgefahr besteht oder die Arbeit der Verwaltung wesentlich behindert wird. Beide Bedingungen sehen wir als erfüllt an.

Yana Mark
Die Rechtsanwältin ist Vorsitzende der dreiköpfigen FDP-Fraktion im Stadtrat Halle. Sie gehört wie die Linksfraktion zur Mehrheit derer im Kommunalparlament, die Oberbürgermeister Bernd Wiegand die Dienstgeschäfte verbieten wollen. Vor der außerordentlichen Stadtratssitzung am Montag sprach Max Zeising mit ihr über die Möglichkeiten, dies durchzusetzen.

Im Gesetz steht: »Das Verbot erlischt, wenn nicht bis zum Ablauf von drei Monaten gegen die Beamtin oder den Beamten ein Disziplinarverfahren oder ein sonstiges auf Rücknahme der Ernennung oder auf Beendigung des Beamtenverhältnisses gerichtetes Verfahren eingeleitet worden ist.« Heißt das, Wiegand könnte nach drei Monaten in sein Amt zurückkehren?
Nicht unbedingt, weil im Fall Wiegand bereits ein Disziplinarverfahren läuft. Der Zeitraum eines solchen Verbots kann über die drei Monate hinausgehen, wenn die genannten zwei Bedingungen weiterhin erfüllt sind.

Dennoch wäre Wiegand auch mit einem solchen Beschluss und einer anschließenden Verfügung immer noch Bürgermeister, nur die Führung der Dienstgeschäfte würde sein Stellvertreter Egbert Geier übernehmen. Eigentlich müsste doch danach ein Abwahlverfahren erfolgen?
Wenn es nach uns und einigen anderen Fraktionen ginge, ja. Das wäre nur konsequent. Unabhängig davon, ob das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte beschlossen wird: Das Vertrauensverhältnis zwischen Oberbürgermeister und Stadträten ist nachhaltig gestört.

Wie würde ein Abwahlverfahren ablaufen?
Zunächst müsste der Stadtrat mit Dreiviertelmehrheit ein Abwahlverfahren einleiten. Dann bräuchte man ein Quorum von einem Drittel der Bürger, von denen die Mehrheit für die Abwahl stimmen müsste, um Wiegand aus dem Amt zu heben. Um das Quorum erreichen zu können, wäre es ratsam, das Abwahlverfahren an eine andere Wahl zu knüpfen, zum Beispiel die Landtagswahl am 6. Juni.

Das heißt, es könnte passieren, dass parallel zur Landtagswahl die Abwahl des Oberbürgermeisters erfolgt – und dann, parallel zur Bundestagswahl am 26. September, die Wahl seines Nachfolgers?
Das ist möglich, ja.

Dennoch wäre eine Rückkehr Wiegands nach Ablauf des Verbots theoretisch möglich. Das wäre eine politische Niederlage des Stadtrats.
Wir haben in diesem Jahr Landtags- und Bundestagswahlen. Die Leute sind ja ohnehin schon so oft politikverdrossen. Eine Rückkehr Wiegands würde das Vertrauen in die Politik weiter stören. Das wäre ein katastrophales Signal, gerade vor den Wahlen.

Wiegand rechtfertigt seine vorzeitige Impfung damit, dass die übrig gebliebene Dosis sonst verworfen worden wäre. Er kritisiert Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD), sie habe den Umgang nicht Impfstoffresten nicht geregelt ...
Wenn man unter den prioritär zu impfenden Personen niemanden mehr hätte erreichen können, hätten wir eine andere Lage. Wir glauben aber nicht, dass es so war. Wir haben mit Zahn- und Augenärzten gesprochen, die meinten, nie einen Anruf erhalten zu haben. Es gibt etwa 700 Ärzte in Halle, die prioritär zu impfen wären. Das schaffen Sie zeitlich gar nicht, die alle anzurufen. Die Impfung erfolgte in einem Krankenhaus, in dem es medizinisches Personal gibt, das zu der Zeit (17. Januar) noch nicht geimpft war. Wir glauben nicht, dass alle Hürden genommen wurden.

Hat es Sie Überwindung gekostet, bei der Aufarbeitung der Impfaffäre mit der Linken im Stadtrat zusammenzuarbeiten?
Wenn es um die Sache geht, gar nicht. Wir haben kein Problem damit, uns mit demokratischen Fraktionen auszutauschen. Die Stadtratsvorsitzende Katja Müller von der Linken hat in den letzten Stadtratssitzungen einen richtig guten Job gemacht.

Wiegand musste sich in der vergangenen Legislatur bereits wegen des Vorwurfs des Mobbings und der Untreue verantworten.
Ja, wir können nicht nachvollziehen, dass er 2019 wiedergewählt wurde. Er hat aber ein gewisses Talent, Probleme einfach wegzureden. Das hat ihm bis jetzt immer geholfen.

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