»Autos müssen raus aus der Stadt«

Schafft die Linkspartei am Sonntag in Baden-Württemberg den Sprung in den Landtag? Eine Einschätzung von Luigi Pantisano aus der Landeshauptstadt Stuttgart

  • Dirk Farke
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie lief der Wahlkampf aus Ihrer Sicht für die Linkspartei in den letzten Wochen?

Der Wahlkampf lief trotz Corona-Pandemie bei uns sehr gut. Wir haben viele junge internetaffine Landtagskandidat*innen, die in den sozialen Medien sehr präsent sind. Wir wurden aber auch von der Bundespartei bei verschiedenen Kampagnen und Aktionen zu Mieten, Pflege und zu ÖPNV unterstützt. Der digitale Wahlkampf bedeutete kein großes Problem für uns, und wir konnten zahlreiche Wähler*innen im Rahmen von Online-Veranstaltungen erreichen, da oft auch viele prominente Gesprächspartner*innen unserer Partei zu Gast waren.

Im Interview

Diplom Ingenieur, Stadtplaner und Architekt Luigi Pantisano wurde 1979 als Sohn einer italienischen Gastarbeiterfamilie in Waiblingen geboren. Über den zweiten Bildungsweg studierte er Architektur und Stadtplanung. Für Die FraKTION, eine Koalition der Linkspartei mit dem Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS), Piraten und Tierschützern arbeitet er als Stadtrat in Stuttgart. Darüber hinaus ist Pantisano Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten und bis vor zwei Wochen amtierenden Parteivorsitzenden Bernd Riexinger. Im letzten Herbst ist er bei den Oberbürgermeisterwahlen in Konstanz mit 45,1% nur knapp an seinem Mitkonkurrenten von der CDU unterlegen. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Stuttgart. Foto: dpa/Luigi Pantisano

Es ist jetzt das dritte Mal, dass die Partei versucht, in Baden-Württemberg in den Landtag einzuziehen. Warum tut sich die Partei hier so schwer, und warum hat es bisher noch nicht geklappt?

Hierbei spielen strukturelle und inhaltliche Aspekte gleichermaßen eine Rolle. Als Kretschmann vor zehn Jahren zum ersten Mal gewählt wurde, hatten wir kurz zuvor den Super-Gau in Fukushima. Auch die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 haben den Grünen sehr in die Hände gespielt. Viele haben die Chance gesehen, die CDU nach Jahrzehnten an der Regierung endlich abzulösen. Vor fünf Jahren waren die Flüchtlingseinwanderung und das Aufkommen der rassistischen AfD die alles bestimmenden Themen. Hinzu kam das besondere Einstimmenwahlrecht, welches grundsätzlich vor Ort gut verankerte Kandidat*innen eindeutig bevorzugt. Als neue, kleine Partei hat man es da naturgemäß sehr schwer, landesweit gut aufgestellt zu sein. Aber bei Bundestagswahlen holen wir hier immer mehr als fünf Prozent; das Potenzial ist grundsätzlich da.

Wenn man sich die Politik von Ministerpräsident Kretschmann in den vergangenen zehn Jahren ansieht, muss man feststellen, dass er gewissermaßen der verlängerte Arm der Automobilindustrie ist, Politik ausschließlich für Besserverdienende macht und der Law-and-order-Politik (Stichwort zweite Verschärfung des Polizeigesetzes innerhalb von drei Jahren) des Koalitionspartners CDU offensichtlich nichts entgegenstellen möchte. Und das als Grüner. Ist es vielleicht genau das, was die Wählerinnen und Wähler hier wollen, zur Gewissensberuhigung die Grünen wählen, aber nur, weil sie die gleiche Politik machen, wie die CDU in den Jahrzehnten zuvor?

Kretschmann repräsentiert hier zweifelsohne den Prototyp des konservativen Landesvaters. Wenn man ihn wählt, bekommt man eine konservative und nach rechts blinkende, aber leider keine ökologische oder soziale Politik. Die Frage ist, was passiert, wenn er mal abtritt und die CDU eine*n geeignetere*n Kandidat*in aufstellt. Die Linke zieht mittlerweile in Baden-Württemberg viele junge Menschen an, die in ökologischen und sozialen Bewegungen aktiv sind und die von der Politik der Grünen enttäuscht sind. Hier haben wir als Partei noch viel Potenzial.

Tier-, Natur- und Umweltschutz dürfen Ihrer Meinung nach in der Politik nicht länger eine zu vernachlässigende, an den Rand gedrängte Rolle spielen. Warum ist es so wichtig, dass die Linke die soziale Frage mit der ökologischen verbindet?

Im Gegensatz zu den Grünen hat eine konsequente Mobilitätswende für uns eine hohe Priorität. Lärm, Luftverschmutzung und der Autoverkehr sollen raus aus der Stadt. Stattdessen brauchen wir endlich mehr Platz für unsere Kinder, für ältere Menschen und auch für mehr Grünräume und Bäume in der Stadt. Damit dies auch sozialverträglich stattfinden kann, kommen wir langfristig an einem kostenfreien ÖPNV, wie er zum Beispiel in Luxemburg bereits besteht, nicht vorbei. Auch der soziale Wohnungsbau mit klimaneutralen Gebäuden muss in diesem reichen Land den Stellenwert erhalten, den er längst schon hätte einnehmen müssen. Gleichzeitig müssen wir den immensen Flächenverbrauch im Land endlich reduzieren. Das sind alles Themen, die mit den hiesigen Grünen nicht umzusetzen sind. Und gerade hier erhalten wir viele positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung.

Aller guten Dinge sind drei. Wird die Linke den Sprung in den Landtag morgen schaffen?

Eine Vorhersage ist diesmal wegen des rein digitalen Wahlkampfes sicher noch schwerer als sonst. Aber wir sind alle optimistisch. Bei Bundestagswahlen stellt es kein Problem dar, landesweit über fünf Prozent zu kommen, und warum sollte es auch dank des sehr gut gelaufenen digitalen Wahlkampfes nicht klappen, dieses Potenzial, was zweifelsohne vorhanden ist, auch abzurufen?

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