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Orakel im Superwahljahr
Die Wahlen am Sonntag sind ein erster Stimmungstest vor allem für Union und SPD.
Ein Bündnis aus 140 zivilgesellschaftlichen Organisationen hat die Wahl zu den Landtagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am Sonntag zur Gewissensentscheidung gegen den Klimawandel ausgerufen. Nach dem Motto: Willst du etwas gegen die drohende Klimakatastrophe tun, dann wähle richtig. Eine Partei wird in dem Aufruf nicht erwähnt, doch angesichts der abgestuften Kompetenzen, die die Wähler in Deutschland den Parteien zuweisen, dürfte der Aufruf als Empfehlung für die Grünen verstanden werden. Oder missverstanden - tritt doch in Baden-Württemberg in 67 der 70 Wahlkreise erstmals auch eine Klimaliste an. Der amtierende Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen ist zwar bei Wählern auch außerhalb seiner eigenen Partei beliebt, hat Teile seiner angestammten Wählerschaft jedoch inzwischen enttäuscht.
Richtig wählen. Vor jeder Wahl werden schwere Geschütze aufgefahren, um die scheinbar unberechenbare Wählerschaft zu möglichst großen Teilen hinter sich zu versammeln. Diese aber bleibt eine weithin unberechenbare Größe. Kein Wunder - auch die Wahlbürger haben es nicht leicht. Auch der genannte Aufruf könnte sie verwirren. Eine sozialökologische Wende ist zum programmatischen Ziel der Linken geworden, die SPD führt diese ebenfalls im Mund, und selbst Parteien wie die FDP dienen sich dem Klima an, indem sie es mit einer Mehrung des wirtschaftlichen Wohlstandes versöhnen wollen. Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke schielte beim Blick auf jüngste Umfragen bereits auf eine grün-gelbe Koalition in Baden-Württemberg, die auf 45 Prozent käme.
Die Grünen werden sich hüten. Experimente sind in der Politik Ergebnis von Notlagen, nicht der Lust auf Konflikterfahrung. Und Grün-Schwarz in Stuttgart dient auch als Experiment für mehr. Alles deutet daher auf eine weitere Zusammenarbeit von Grünen und CDU, und hier und da ist bereits von einem Modell zu lesen, von einer Blaupause für die Wahlentscheidung im September auf Bundesebene. Nur mit umgekehrten Mehrheiten - Schwarz-Grün statt Grün-Schwarz.
Die Wahlentscheidungen am Sonntag sind Auftakt zum sogenannten Superwahljahr 2021. Ihnen werden weitere in vier Bundesländern und im September die Bundestagswahl folgen. Das Besondere dieses Wahljahres liegt nicht nur in der Zahl der Entscheidungen - zu den genannten kommen drei Kommunalwahlen -, sondern auch in der Coronapandemie, die auch dieses Ereignis zur Quarantäneveranstaltung macht, den Wahlkampf ebenso erschwert wie die Kandidatenaufstellungen der Parteien. Zudem endet im Herbst die Kanzlerschaft Angela Merkels, was nicht nur die Unionsparteien vor eine neue, schwer kalkulierbare Situation stellt. Wahlastrologen werden daher ab Sonntagabend die Ergebnisse drehen und wenden - um ihren Gehalt für die Bundestagswahl im Herbst zu deuten.
Nicht zuletzt die Parteien selbst reden den scheinbar folgerichtigen Zusammenhang gern herbei. Etwa, wenn CDU-Chef Armin Laschet seinen Wahlkämpfern in Rheinland-Pfalz zurief, er erhoffe sich Rückenwind, den es dann zu nutzen gelte - in einem »Aufschwung für die Bundestagswahl«. Ebenso vehement leugnen Politiker gern jeden gegenseitigen Einfluss von Landtags- und Bundestagswahl, wenn gerade ein Urnengang für die eigene Partei in die Hosen ging.
Tatsächlich bringt eine Übertragung der Wahlergebnisse vom Sonntag auf die Wahl im Bund wenig. Zu unterschiedlich sind die Konstellationen. Wenn es anders wäre, dann dürfte es ja sogar um die Chancen einer Mitte-links-Koalition im Bund nicht so schlecht stehen. Die Grünen als Wunschpartner einer solchen Konstellation haben gute Aussichten auf eine Fortsetzung der Regierung in Baden-Württemberg und regierten mit in Rheinland-Pfalz. Die SPD als zweiter Anwärter führt die Regierung in Rheinland-Pfalz möglicherweise weiter. Fehlt noch die Linkspartei, die es in beiden Ländern bisher nicht in den Landtag geschafft hat und dies nun am Sonntag ändern will. Die Umfragen zeigen jedoch, dass dies allenfalls knapp gelingen dürfte. Und auch auf Bundesebene fehlt den strategischen Planungen einer grün-rot-roten Zusammenarbeit derzeit die Grundlage in Form des Wählerwillens.
Taugen die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz als Orakel für den Herbst? Zumindest über eines können sie Auskunft geben: über das Ansehen, das die Regierungsparteien im Bund, also CDU und SPD, derzeit genießen. Denn Wähler nutzen die Landtagswahlen, um ihren Protest gegen eine vermeintlich verfehlte Bundespolitik auszudrücken oder aber auch, um Parteien für ihre erfolgreiche Regierungspolitik im Bund zu belohnen. Die Wissenschaft hat einen solchen Zusammenhang untersucht und nachgewiesen, der Einfluss der Bundespolitik auf die Entscheidungen bei Landtagswahlen nimmt sogar zu. Regierungsparteien schneiden im Vergleich zur vorangegangenen Bundestagswahl bei Landtagswahlen schlecht ab, wenn ihre Popularitätswerte in dieser Zeit gesunken sind.
Das erklärt die Panik, mit der die Union auf die Maskenaffäre reagiert, die nur wenige Tage vor den Landtagswahlen ans Licht kam - auch wenn sie die Landespolitik in Mainz oder Stuttgart zunächst nicht direkt berührt. Während die Unionsspitze noch versucht, die Selbstbereicherung von Mitgliedern ihrer Fraktion bei Alltagsmaskengeschäften als Einzelfälle abzutun und Parallelen zur Parteispendenaffäre in den 90er Jahren zurückzuweisen, zeigte eine Umfrage, dass die CDU am Sonntag womöglich einen Preis an den Wahlurnen zahlen muss. Nur rund ein Drittel der Befragten gab an, der Union noch zu vertrauen wie vor den Korruptionsvorwürfen, und 60 Prozent zeigten sich in ihrem Vertrauen beeinträchtigt.
Auch die in jüngster Vergangenheit zunehmend kritischen Töne der SPD-Führung gegenüber dem Koalitionspartner im Bund dürften mit wachsendem Unbehagen über die Umfragen zu erklären sein. Öffentliche Kritik an der Arbeit eines Ministers der Bundesregierung wie die an Jens Spahn wegen seines Impfmanagements ist ein in Regierungskoalitionen unübliches Vorgehen. Schwer kalkulierbar ist jetzt die Gefahr, mit in den Abgrund der Maskenaffäre gerissen zu werden.
Die SPD in Rheinland-Pfalz dürfte die sich eintrübende Stimmung im Bund deshalb mit Sorge betrachten. Allerdings kann Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die in Rheinland-Pfalz seit 2013 die Regierung führt, auf einen Amtsbonus hoffen. Denn beliebte Regierungschefs in den Ländern schaffen es immer wieder, dem Stimmungstrend ihrer Partei auf Bundesebene zu trotzen, wie die Untersuchungen belegen. Erst recht kann Winfried Kretschmann auf einen solchen Bonus hoffen. Er ist in komfortabler Lage auch deshalb, weil Oppositionsparteien im Bundestag auf Landesebene eher mittelbar von den genannten Stimmungseinflüssen betroffen sind. Nachgewiesen ist, dass sie von schlechten Popularitätswerten der Regierungsparteien profitieren - je größer die Neigung zur Bestrafung der Regierungsparteien, desto größer der Nutzen für die Opposition. Ob davon am Wochenende auch andere Parteien als die Grünen profitieren, ist offen.
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