Vorbotin einer besseren Welt

Die Pariser Kommune 1871 nahm aktuelle Errungenschaften vorweg - und beschämt die heutige Festung EU

  • Lesedauer: 2 Min.

Berlin. Laut dem deutsch-jüdischen Publizisten Sebastian Haffner ging es vor 150 Jahren in Paris »zum ersten Mal um Dinge, um die heute in aller Welt gerungen wird: Demokratie oder Diktatur, Rätesystem oder Parlamentarismus, Sozialismus oder Wohlfahrtskapitalismus, Säkularisierung, Volksbewaffnung, sogar Frauenemanzipation - alles das stand in diesen Tagen plötzlich auf der Tagesordnung«.

Am 18. März 1871 erhob sich das Volk von Paris, zehn Tage darauf wurde die Kommune proklamiert, die sogleich soziale, politische und wirtschaftliche Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen vor allem der arbeitenden Bevölkerung verkündete, erst Jahrzehnte später erfüllte Selbstverständlichkeiten bereits vorwegnahm - wie die Gleichstellung von Mann und Frau. Und sich zudem wesentlich humaner erwies als die Europäische Union von heute, indem sie die vorbehaltlose Einbürgerung von »Ausländern« beschloss. Am 28. Mai 1871 wurde die Pariser Kommune von der französischen Reaktion mit Unterstützung des kurz zuvor, am 18. Januar, in Versailles vom Kriegsgewinnler Otto von Bismarck ausgerufenen Deutschen Reiches in einem Blutbad erstickt.

Die Kommune ist im Traditionsverständnis linker und anderer progressiver Kräfte weltweit fest verankert wie der Spartakusaufstand in Rom im Jahr 73 vor unserer Zeitrechnung oder hierzulande der Bauernkrieg von 1525. Auf sie beriefen sich die russischen, deutschen und österreichisch-ungarischen Revolutionäre von 1917 und 1918/19. Sie begleitete antikoloniale Befreiungsbewegungen, die sich über die Erringung nationaler Unabhängigkeit hinaus emanzipatorische Ziele stellten. Auch in den Studentenrevolten 1968 lebte »Paris« nicht nur in der Gründung von Kommunen wieder auf.

In ihrem Mutterland ist die Pariser Kommune heftig umstritten, wird verleumdet oder verschwiegen. Doch ihre Ideale erfahren unter französischen Jugendlichen eine Renaissance. Und am heutigen Donnerstag findet in Paris eine internationale wissenschaftliche Konferenz statt, auf der die Kommune als Aufbruch in eine neue Welt diskutiert wird.

Am Vorabend des 100. Jahrestages des Aufstandes des Pariser Volkes ist übrigens 1971 die ehemalige Berliner Fruchtstraße in Straße der Pariser Kommune umbenannt worden. Seitdem befinden sich hier Redaktion und Verlag des »nd«. ves Seiten 3 und 12

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