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- 1. FC Union Berlin
Nicht in Verboten denken
Oliver Ruhnert, Manager des 1. FC Union Berlin, über Fußball und Politik
Wenn der 1. FC Union Berlin am Sonnabend bei Eintracht Frankfurt antritt, spielt der Siebte beim Vierten. Gemessen am Personaletat sind das herausragende Platzierungen für beide Teams. Treffen die Klubs mit den beiden besten Managern der Liga aufeinander?
Bei solch einer Schlussfolgerung wären wir sogar noch vor der Eintracht (lacht). Spaß beiseite: Wenn die Bundesliga jetzt zu Ende wäre, hätten beide Vereine etwas Sensationelles erreicht. Egal ob Fredi Bobic, andere Managerkollegen oder ich: Jeder hat seine Pläne mit dem Kader. Ob die aufgehen, hängt auch an Trainern und Spielern - und ist auch ein bisschen Glückssache.
Der 49-Jährige Arnsberger ist seit knapp drei Jahren Geschäftsführer Sport und Leiter der Lizenzspielerabteilung beim 1. FC Union Berlin. Damit hat er großen Anteil am Aufstieg des Klubs aus Köpenick in die Bundesliga. Wenn er mal nicht auf dem Trainingsplatz oder in Fußballstadien ist und keine Gespräche mit aktuellen oder künftigen Spielern führt, macht er Politik als Fraktionschef der Linken im Stadtrat von Iserlohn. Über beides sprach Frank Hellmann mit ihm.
Sie haben vergangenen Sommer ablösefrei Max Kruse unter Vertrag genommen. Über ihn hat die Eintracht 2018 auch nachgedacht, damals standen aber Gehaltsforderungen von sechs Millionen Euro im Raum. Man kann davon ausgehen, dass er für nicht annähernd ein solches Salär bei Union spielt, oder?
Solche Größenordnungen sind für uns überhaupt nicht darstellbar. Vielleicht haben wir bei Max einfach die Gunst der Stunde genutzt und waren schon sehr früh dran. Unser Verein ist anders: Vieles bleibt intern, die Stadt Berlin ist spannend. Am Ende hat für uns das Paket gesprochen - und da war nicht der wirtschaftliche Punkt entscheidend. Wir haben gesagt: Wir haben bei dieser Personalie nichts zu verlieren.
Kruse ist ein polarisierender Profi. Er nimmt eine Pizza mit zum Fernsehinterview, streitet mit der Polizei über einen Strafzettel. Fürchten Sie da nicht manchmal um die vom Klub gelebten Werte?
Wenn mir gewisse Dinge zu viel sind, gehe ich auch mit Max in den Austausch. Er geht offen mit Kritik um und jedes Spiel auch professionell an.
Er hat aber wenig Lust auf einen neuen Europapokalwettbewerb. Er sagte wörtlich: »Auf die Europa Conference League habe ich irgendwie keinen Bock. Ich weiß nicht einmal, was das ist.« Wenn Union aber Siebter bliebe, könnte genau das herauskommen.
Das ist sicherlich eine Sache, die ihm noch bewusst werden muss und wird. Wenn ein Verein wie der 1. FC Union Berlin mit seinen Möglichkeiten und seiner Vergangenheit einen solchen Platz erreichen kann, ist das für die Menschen hier in Köpenick ein Wahnsinn. Dass wir derzeit siebtbeste Mannschaft in Deutschland sind, ist für viele nicht zu fassen. Man sollte das mehr aus dieser Perspektive betrachten. Ich möchte aber mal betonen, dass der Europapokal bei uns nicht wirklich ein Thema ist. Wir treten an den letzten Spieltagen fast ausnahmslos gegen vor uns stehende Mannschaften an.
Wie sehr erfüllt es Sie mit Stolz, dass Sie im zweiten Bundesligajahr bereits 17 Punkte mehr haben als Stadtrivale Hertha BSC?
Es ist kaum zu glauben, dass wir gerade zwei Punkte hinter Leverkusen oder vier hinter Dortmund stehen. Natürlich ist man stolz darauf, das Saisonziel jetzt fast erreicht zu haben - das hat aber nichts mit Hertha zu tun.
Hat Hertha BSC bei Ihnen mal nachgefragt, ob Sie in Charlottenburg Geschäftsführer Sport werden wollen?
Nee. Das wäre für mich auch gar nicht wichtig, um ehrlich zu sein. Wenn ich in Berlin bin, dann bei Union. Es ist für mich keine Zielsetzung, bei der Hertha zu arbeiten.
Für Spieler eine Ablöse zu bezahlen, um Verträge zu brechen, ist im Fußball normal. Entschädigungen für Trainer sind auch nicht ungewöhnlich. Eintracht Frankfurt verlangt bei einem Wechsel von Manager Bobic fünf Millionen. Finden Sie das angemessen?
Es passiert auch bei Athletiktrainern oder Scouts. Es sind nicht so viele Spitzenleute auf dem Markt. Wir müssen so ehrlich sein, dass es sich im Fußball um eine Liaison auf Zeit handelt. Ob das gut ist, lasse ich mal offen.
Ihr Verein hat am vergangenen Wochenende Schnelltests für zutrittsberechtigte Personen durchgeführt. Wie lief das Pilotprojekt für die baldige Rückkehr von Stadionbesuchern?
Das war ein Einstieg, die Kultur in Berlin geht den nächsten Schritt und testet an diesem Wochenende für einige Pilotveranstaltungen das Publikum. Unser Pilotprojekt lief hervorragend, 165 Personen hatten wenige Minuten später das Ergebnis als Mitteilung auf dem Handy. Alle Tests waren negativ und jeder hat pro Person maximal zwei Minuten gedauert. Die Zahl der Stationen kann entsprechend ausgeweitet werden. Denn es ist meine tiefe Überzeugung, dass wir mehr in Lösungen und nicht so viel in Verboten denken müssen. Das ist ein Punkt, der mich gerade sehr, sehr stört.
Sie wollen häufiger hören, was geht - und nicht mehr, was nicht geht?
Absolut. Es stört mich einfach, dass wir andauernd so tun, als sei alles alternativlos. Das ist es nicht! Die wissenschaftlichen Erkenntnisse nach einem Jahr Pandemie für den Sport sind ziemlich eindeutig, dass das Ansteckungsrisiko auf dem Rasen oder auf den Tribünen bei Einhalten des Abstands und Tragen von Masken nahezu nicht gegeben ist. Das gilt auch für andere Bereiche wie die Ausübung des Amateursports. Ich finde, dass es wirklich höchste Zeit ist, in den Wiedereinstieg zu gehen. Wir können der Gesellschaft dauerhaft nicht das wegnehmen, was sie fürs Miteinander braucht.
Sie sind Fraktionsvorsitzender der Linken im Stadtrat von Iserlohn. Die Corona-Politik reißt gerade tiefe Gräben in die Gesellschaft. Die Beschneidung der Grundrechte zieht sich über Monate hin, gleichzeitig steht nicht genügend Impfstoff zur Verfügung. Die Impfungen laufen schleppend. Regt sich bei Ihnen auch Unmut?
Natürlich regt sich da auch bei mir Unmut. Wir werden gerne als die Privilegierten bezeichnet, was sicherlich so ist, weil wir im Profifußball den Beruf ausüben dürfen. Aber natürlich nehme ich die Probleme in anderen Berufszweigen und in der Gesellschaft, in den Schulen wahr. Für mich ist entscheidend, dass wir eine Perspektive bekommen.
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