- Berlin
- Gerichtsverfahren
Antifaschist abgeurteilt
Chef der VVN-BdA soll AfD von Gedenken an Naziopfer ferngehalten haben
Vor dem Gerichtssaal herrscht am Donnerstagmorgen großes Gedränge. Rund 30 Zuschauer*innen wollen an der Verhandlung teilnehmen. Wegen coronabedingter Einschränkungen bietet der Saal jedoch nur für acht Zuschauer Platz. Alle anderen müssen draußen bleiben. Mehrere AfD-Mitglieder versuchen sich aufgebracht an den Wartenden vorbeizudrängeln. Aber auch sie müssen draußen bleiben.
Mit einer Einlassung des Beschuldigten Markus Tervooren beginnt der Prozess. Dem Geschäftsführer der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA wird vorgeworfen, Mitglieder der AfD daran gehindert zu haben, am 25. Januar 2019 am Gedenken an die Opfer des Faschismus auf dem Parkfriedhof Marzahn teilzunehmen. Der Vorwurf der Nötigung steht im Raum. Damals hatte sich neben anderen auch die die Israelitische Synagogen-Gemeinde in einem offenen Brief an die Veranstalter des Gedenkens gewandt und sie aufgefordert, die aus ihrer Sicht neofaschistische AfD von der Veranstaltung auszuschließen, um ein würdevolles Gedenken zu ermöglichen. Als AfD-Bezirksverordnete dennoch kamen, verhinderten mehrere Aktivisten*innen, dass diese Blumen niederlegen.
Tervooren, der bei der Veranstaltung eine Rede hielt, wurde im Nachhinein eine Beteiligung an der Blockade vorgeworfen. Seine Anwesenheit auf dem Parkfriedhof bestreitet er nicht. Auch habe er in seiner kurzen Ansprache die Forderungen des offenen Briefs wiederholt. Tervooren legte dem Gericht den Wortlaut der Rede vor. Sie fordere niemanden zu konkreten Handlungen auf. Von einer Beteiligung könne daher keine Rede sein.
Im Anschluss an die Einlassung des Beschuldigten wird der AfD-Bezirksverordnete Rolf Keßler als Zeuge vernommen. Er beschreibt das Geschehen so, dass 20 bis 30 junge Leute »in einem Kordon wie bei der Römischen Armee« sich um das Denkmal formiert und den Leuten von der AfD den Zutritt verwehrt hätten. Keßler behauptet zunächst, Tervooren habe sich innerhalb dieses »Kordons« befunden. Auf Nachfrage von dessen Verteidiger kann er sich jedoch nicht mehr daran erinnern, Tervooren nach dessen Ansprache noch einmal gesehen zu haben.
An einen solchen »Kordon« kann sich ein Polizist, der vor Ort war, nicht erinnern. Vielmehr habe eine Art Menschenkette gezielt die Niederlegung von Blumen durch die AfD verhindert, sagt der Zeuge aus. Die anderen Teilnehmenden hätten ihre Blumen ohne Probleme niederlegen können. Der Polizist kann sich an Markus Tervooren gar nicht erinnern. »Das war ein großes Durcheinander«, sagt der Beamte.
Die AfD-Bezirksverordnete Maria Arlt will Tervooren als »Puppenspieler« erkannt haben, der die Aktionen »der Antifa« auf dem Friedhof gesteuert habe. Wie genau er das gemacht habe, kann sie sich nicht sagen.
Die Staatsanwältin sieht eine Nötigung durch Tervooren als erwiesen an und betont in ihrem Plädoyer, dass der Antifaschist mit seinem Handeln ein würdevolles Gedenken auf dem Parkfriedhof unmöglich gemacht habe. Dies könne nicht im Sinne der Opfer des Nationalsozialismus gewesen sein, so die Staatsanwältin.
Anders bewertet es der Verteidiger von Tervooren. Er stellt vor allem die Glaubwürdigkeit der AfD-Zeug*innen infrage, die mit Tervooren ihren politischen Gegner belasten. Zudem sei seinem Mandanten keine direkte Tatbeteiligung nachzuweisen. Keine der Zeuge*innen habe ihn bei der Auseinandersetzung beobachten können, und auch an konkrete Handlungsaufforderungen durch ihn erinnerte sich niemand.
Für die Richterin reichen die Zeugenaussagen, Tervoorens Rede sowie die Mobilisierung des VVN-BdA im Vorfeld jedoch aus, um ihn der Mittäterschaft an einer Nötigung schuldig zu sprechen. Sie verurteilt ihn zu 1500 Euro Geldstrafe. Bei den Zuschauer*innen im Saal sorgt dieses Urteil für lauten Protest.
Tervooren und sein Verteidiger kündigen an, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen. »Es kann nicht sein, dass eine politische Meinungsäußerung einfach zu einer Aufforderung zu Straftaten umgedeutet wird«, beschwert sich Tervooren.
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