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Vertrauenskrise bei Bus und Bahn

Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg sucht nach Wegen aus dem Fahrgast-Tal

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Verkehrswende ist nicht abgesagt«, erklärt Susanne Henckel, Chefin des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) am Donnerstag bei einer Online-Pressekonferenz. Es liegt ein bisschen Trotz in ihrer Stimme, denn für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) war 2020 wegen der Corona-Pandemie ein Katastrophenjahr. Und das laufende Jahr schließt nahtlos daran an.

Die Fahrgeldeinnahmen der VBB-Unternehmen werden 2020 etwa ein Fünftel unter jenen von 2019 liegen - nur noch etwas über 1,2 Milliarden Euro statt deutlich über 1,5 Milliarden Euro im Jahr zuvor. Ein Rückfall auf den Stand von 2013. »Der ÖPNV-Rettungsschirm von Bund und Ländern hat geholfen, dass die Verkehrsunternehmen nicht mit dem Rücken zur Wand stehen«, sagt Henckel. Auch dieses Jahr werde Hilfe nötig sein.

»Anfangs hatten wir wegen unserer neuen, attraktiven Angebote wie Azubi- und Jobticket sogar steigende Einnahmen. Über das Jahr sind zunächst die Verkäufe von Einzel- und Tageskarten eingebrochen und dann auch die Abos«, blickt Henckel zurück. Denn die Hoffnung vieler, dass die Lockdown-Maßnahmen nur kurzfristig anhalten, habe sich nicht bestätigt.

Die studierte Verkehrsplanerin Henckel spricht von einer »Zäsur«: »Was sich in den letzten 50 Jahren nie groß verändert hat, war die Anzahl der täglichen Wege. Massiv verändert haben sich aber die Wegelängen.« Die Menschen pendeln immer weiter. Doch in der Pandemie waren sie auch seltener unterwegs.

Um die Veränderungen im Mobilitätsverhalten der Menschen besser erfassen zu können, hat sich der VBB an eine Studie des Instituts für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zum Thema Mobilität und Corona angehängt. Zusätzlich zur republikweiten Befragung machten auch 1000 Menschen aus Berlin und 500 aus Brandenburg in der Untersuchung Angaben zu ihrem Verhalten im Lockdown im November und Dezember 2020.

Rund 60 Prozent der Berliner und Brandenburger fühlten sich demnach unwohler in Bahnen und Bussen als vor der Pandemie. Großer Gewinner ist das Auto. 90 Prozent der Berliner und sogar 95 Prozent der Brandenburger fühlen sich in der eigenen Blechkiste gleich gut oder besser als zuvor. Fast genauso gut sieht es beim Fahrrad aus. 34 Prozent der befragten Hauptstädter und 56 Prozent der Märker gaben an, in der Befragungswoche nur mit dem Auto unterwegs gewesen zu sein - ein Sprung um 5 oder gar 14 Prozentpunkte nach oben im Vergleich zu vor Corona. Diese Zahlen dürfe man aber nicht mit dem Anteil der Verkehrsmittel, dem sogenannten Modal Split, verwechseln, sagt DLR-Studienleiterin Claudia Nobis. »Tatsächlich ist die Fahrradnutzung angestiegen im Vergleich zum November des Vorjahres. Der ÖPNV ist auf dem Niveau des Sommers verharrt, der übliche Anstieg im Herbst ist ausgeblieben«, erklärt sie.

»Das Mobilitätsverhalten ist sehr stark durch Routinen geprägt. Wäre der erste Lockdown nur kurz gewesen, hätten wir wahrscheinlich keine Veränderung gehabt«, sagt Forscherin Nobis. Doch der zweite Lockdown gilt nun bald fünf Monate. 51 Prozent der Berliner und 27 Prozent der Brandenburger arbeiteten im November ganz oder teilweise von zu Hause aus - im Durchschnitt vier Tage pro Woche. Rund zwei Drittel der Befragten würden das gerne weiter so halten.

»Die klassische Krankenschwester kann nicht im Homeoffice arbeiten. Diese Menschen sind in großem Maße davon abhängig, dass der ÖPNV in guter Qualität vorhanden ist«, sagt der Brandenburger Verkehrs-Staatssekretär Rainer Genilke (CDU), der derzeitige VBB-Aufsichtsratsvorsitzende.

»Wenn wir uns um die Fahrgäste kümmern, müssen wir sehr ernst nehmen, dass es Sorgen um die Sicherheit gibt«, erklärt VBB-Chefin Susanne Henckel. Zwei Drittel der ÖPNV-Nutzer in der Region stört es »voll und ganz« oder »eher«, wenn Passagiere in den Verkehrsmitteln ihre Masken nicht richtig tragen. Selbst wenn die Quoten der korrekt Infektionen Verhütenden oft an die 100 Prozent gehen, reicht schon eine Person im Fahrzeug, die sich nicht daran hält, um andere zu verunsichern. Dementsprechend versuchen 53 Prozent der Berliner und 57 Prozent der Brandenburger, öffentliche Verkehrsmittel zu meiden.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben inzwischen die Desinfektion von Griffen und Flächen der Fahrzeuge an den Endhaltestellen eingestellt. »Wir desinfizieren nur noch auf dem Betriebshof, zum Beispiel bei Werkstattaufenthalten«, bestätigt BVG-Sprecher Jannes Schwentu auf nd-Anfrage. Das Robert-Koch-Institut empfehle Flächendesinfektion nicht, da für die Verbreitung des Covid-19-Virus Aerosole verantwortlich seien, so die Begründung. Die an das Fahrpersonal verteilten Reinigungstücher seien nicht desinfizierend, weil solche Substanzen »zu Allergien und Hautreizungen an den Händen führen und die Oberflächen angreifen« könnten.

Um die Attraktivität des ÖPNV zu steigern, fordert der Berliner Fahrgastverband IGEB ein 399-Euro-Jahresticket für die Hauptstadt. Man habe in Wien nachgefragt, ob es dort zu Kündigungen von Jahreskarten in signifikantem Ausmaß gekommen sei. »Fehlanzeige«, heißt es in einer Mitteilung vom Donnerstag. »Dieses Modell nutzen auch Menschen in systemrelevanten Berufen, die häufig im Niedriglohnsektor arbeiten; und es ist auch tragfähig für die Zeit nach der Pandemie«, sind die Fahrgastvertreter überzeugt.

Susanne Henckel winkt ab: »Wir sitzen mit Bund und Ländern an einem weiteren Rettungsschirm. Weitere Tickets, die bezuschusst werden müssen, werden wir in diesem Jahr nicht einführen können.«

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