- Politik
- Hausarrest
Bei Wasser und Brot
Ein Denkzettel für die Eltern.
Hausarrest also. Beziehungsweise Stubenarrest: Dem ab 1877 erschienenen »Handwörterbuch der Gesamten Militärwissenschaften: Erster Band AA bis Berg« zufolge galten für den Stubenarrest (der bei der Marine Kammerarrest hieß) feine Unterschiede: Sogenannte »Gemeine« erhielten gelinden, mittleren oder sogar strengen Arrest. Für Unteroffiziere war nur gelinder, für Unteroffiziere ohne Portepee (das war eine silberne oder goldene Quaste als Rangabzeichen an der Schlaufe einer Hiebwaffe) mittlerer Arrest vorgesehen. Der Stubenarrest wurde in der eigenen Wohnung verbüßt und musste dort Einzelhaft sein; er durfte maximal sechs Wochen dauern. Allerdings heißt es in dem Buch auch, dass im mittleren Arrest eine »harte Lagerstätte und als Nahrung Wasser und Brod« vorgesehen seien und der strenge zusätzlich im Dunkeln verbüßt werden müsse.
Für die Eltern jener Zeit dürfte Stuben- oder Hausarrest eine sehr angenehme Erziehungsmethode gewesen sein, da zumindest in den bessergestellten Kreisen hauptsächlich das Personal mit der folgenden Mießgelauntheit des Nachwuchses konfrontiert wurde.
Erfahrungen und Gedanken zu einer Strafe aus der Jugendzeit und der coronabedingten sozialen Fastenzeit:
- Bei Wasser und Brot: Ein Denkzettel für die Eltern
- Ohne Abendessen ins Bett: Eine Strafe des Bildungsbürgertums
- Tee bei Marlene: Eine traumwandlerische Bewegung durch Berlin
- Soße à la mode asiatique: Wider den Grusel aus der Kindheit
Später wurde der Hausarrest streng genommen eine Strafe für Eltern, die das aber zuvor nicht wissen konnten. Die Verurteilung zu Hausarrest begann in aller Regel damit, dass man in die Kategorie »Jugendliche« fiel und das getan hatte, was man in dem Alter zu tun hat: Sich abscheulich benehmen, das Gegenteil von dem machen, was von einem erwartet wurde und allgemein wild und gefährlich zu leben.
Fortschrittliche Erziehungsberechtigte hielten schon damals nichts von körperlichen Strafen, und so wurde, wenn Ermahnungen und Bitten und Taschengeldentzug offenkundig nichts nutzten, früher oder später die Höchststrafe Hausarrest ausgesprochen. Was für die Eltern aufregend und neu war, beeindruckte Jugendliche allerdings in aller Regel nicht besonders, denn wir hatten schon Jahre zuvor von Älteren gehört, wie man diesen Unfug schnellstmöglich beenden kann. Und natürlich waren diese Tipps immer weiter perfektioniert worden, sodass man ausgestattet mit einem wundervollen Repertoire ausgeklügelter Terrormaßnahmen in den Hausarrest starten konnte.
Am allerwichtigsten war es, beim Mittagessen schlechte Laune zu haben (beim Frühstück lohnte sich das noch nicht, weil alle dann viel zu beschäftigt mit Wachwerden waren). Andauernd, immer, auch wenn man während des Chemieunterrichts - zur Schule musste man natürlich gehen - vormittags den heiß ersehnten Zettel von Dingens bekommen hatte, auf dem wie vorgeschrieben stand »Willst du mit mir gehen?« und man bei den zusätzlich aufgemalten Antwortkästchen »Ja« angekreuzt hatte. Innerlich fast zerspringend vor Glück, hatte man also beim Mittagessen alles zu tun, um den anderen Anwesenden den Appetit zu verderben, was bemerkenswert einfach war. Danach konnte man sich ins eigene Zimmer zurückziehen und sehr laut Musik hören und selbstverständlich keine Hausaufgaben machen. Wurde man gebeten, die Lautstärke zu reduzieren, setzte man sich halt auf den Sessel neben das Telefon - Handys gab es ja noch nicht - und begann, lange, laute Gespräche zu führen. Anschließend konnte man den Hörer so auf die Gabeln legen, dass er wie aufgelegt aussah, tatsächlich die Gabeln aber nicht ganz heruntergedrückt wurden, sodass keine Anrufe für die anderen durchkamen. Das Hauptargument gegen jugendliche Dauertelefonie »Du blockierst alles« konnte damit nicht ganz so selbstverständlich gebraucht werden.
Dann würde es an der Tür klingeln, und man könnte der besten Freundin oder der zweit- bis viertbesten oder vielleicht auch dem Dingens alles nochmal direkt erzählen. Laut. Und anschließend lange, die elterliche Gegenseite sehr ermüdende Diskussionen über die Frage führen, ob die geöffnete Haustür zum Haus gehört oder nicht. Derart leergequatscht sagte man dann beim Abendessen nichts mehr und aß auch nichts, sondern saß nur traurig guckend herum, bis man wieder sehr laute Musik hören gehen konnte. Ging alles nach Plan, wurde der Hausarrest am späteren nächsten Nachmittag nach nur zwei, drei Stunden Telefoniererei dadurch entschärft, dass Besuche der besten Freundin zugelassen wurden. Und keine 24 Stunden später wurde er beendet, weil niemand, nicht einmal der Familienhund, geneigt war, einen auch nur eine Minute länger als notwendig zu ertragen. So hatte man meistens nur einmal im Leben Hausarrest.
Aberaberaber, werden wir nicht gerade von der Regierung alle in Hausarrest gezwungen? Nein, wir dürfen draußen herumlaufen und Leute treffen, wann immer wir das wollen. Wenn wir das wollen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.