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Wie einst in den 70ern
Eintracht Frankfurt besiegt Union Berlin mit 5:2 und festigt Platz 4 in der Liga
Jürgen Grabowski, Bernd Hölzenbein oder Karl-Heinz Körbel haben mit Eintracht Frankfurt zwar nie die Meisterschaft gewonnen, dennoch sind die vereinstreuen Legenden bis heute so etwas wie die stilprägenden Leitfiguren für den hessischen Erstligisten. Das zumindest eine Halbzeit lang grandios unterhaltsame Bundesligaspiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Union Berlin (5:2) erinnerte dabei frappierend an einen wilden Schlagabtausch der 70er Jahre, als kollektive Arbeit gegen den Ball noch als verpönt galt und luftiges Verteidigen zum Alltag gehörte.
Am Samstag bezeugten zwei erfahrene Torhüter hernach sehr glaubhaft, bei einer außergewöhnlichen Begegnung mitgewirkt zu haben. »So viele Chancen in der Bundesliga habe ich, ehrlich gesagt, noch nie gesehen«, räumte Union-Keeper Andreas Luthe ein. »Union hatte viele und gute Chancen. Das hätte definitiv anders ausgehen können«, gab der Frankfurter Kollege Kevin Trapp zu. Die tapferen Eisernen verbuchten 23:9 Torschüsse auf der Habenseite, aber letztlich siegte die effiziente Eintracht nach Toren von André Silva (2. und 41.), Robert Andrich (35./Eigentor), Filip Kostic (39.) und Timothy Chandler (90.+2) bei Gegentreffern des Union-Alleskönners Max Kruse (7. und 45.+3) deutlich.
Die angriffslustige Combo mit Torjäger Silva (21 Tore/7 Vorlagen), Dampfmacher Kostic (4/12) und Einfädler Daichi Kamada (4/12) steht nunmehr bei 60 Scorerpunkten - ein Bestwert in der Frankfurter Historie, der auch nicht von den Ballkünstlern um Uwe Bein, Andreas Möller und Anthony Yeboah beim viel gerühmten »Fußball 2000« Mitte der 90er Jahre erreicht wurde. Trainer Adi Hütter merkte zwar an, »dass nicht alles Gold war, was glänzte«, war aber ob der 47 Punkte ausgesprochen »happy«. Die Laune hob zudem der Ausrutscher von Borussia Dortmund, denn dort tritt Frankfurt nach der Länderspielpause nun als Tabellenvierter mit vier Punkten Vorsprung an. »Dortmund muss gegen uns gewinnen«, sagte Hütter. »Wir können mit einer gewissen Ruhe ins Spiel gehen, aber auch unsere Erwartungshaltung steigt.« Sprich: Wer so eindrucksvoll siegt, darf auch verbal den Druck auf die Konkurrenz erhöhen. Zumal die Eintracht im Gegensatz zum BVB wenig zu verlieren hat - auch mit der Europa League könnten alle im Stadtwald noch leben.
Die erstmalige Qualifikation für die Champions League würde dem Fußball-Standort Frankfurt allerdings sportlich und wirtschaftlich ungeahnte Perspektiven eröffnen; das weiß keiner besser als Sportvorstand Fredi Bobic, der sich damit gebührend verabschieden könnte, wenn denn Hertha BSC demnächst in Verhandlungen über eine Ablösezahlung für den vertraglich bis 2023 gebundenen Manager einsteigt. »Mit drei Punkten kommst du deinem Ziel immer näher. Es war ein Spiel für Europa«, erklärte der derzeit nur mit den Klubmedien kommunizierende Bobic. »Jeder Sieg ist Gold wert«, merkte der nach eigenem Bekunden wieder hochmotiviert zur Nationalmannschaft reisende Trapp noch an, der sich bei der extrem angriffslustigen Herangehensweise als entscheidender Rückhalt entpuppte.
Hilfreich für den Champions-League-Anwärter vom Main erwies sich das wohl kurioseste Eigentor der Saison, als Union-Mittelfeldspieler Andrich von der Seitenauslinie zurückpasste, aber übersah, dass sich der unvermittelt überrumpelte Luthe (»er hat ihn zu gut getroffen«) schon rechts vom Pfosten angeboten hatte - und dann zu allem Überfluss ausrutschte. »Wegen des Fehlers habe ich eine schlaflose Nacht«, gestand Andrich, der sich nach Schlusspfiff rücklings auf den Rasen legte, alle Gliedmaße weit von sich streckte und wie ein Maikäfer pumpte, der sich beim ersten Frühlingsausflug übernommen hatte. Seinem Aussetzer folgte nämlich »naives Verhalten« (Union-Trainer Urs Fischer) in einer vogelwilden Phase, in der die effiziente Eintracht die Weichen für den ersten Dreier nach dem Heimsieg gegen den FC Bayern (2:1) stellte.
»Fünf Tore hätte ich mir vorher gegen die drittbeste Defensive der Liga nicht erträumt«, sagte Hütter, der sich in seiner Philosophie bestätigt sah. Mit der pragmatischen Grundausrichtung vieler Kollegen kann der Fußballlehrer aus Vorarlberg herzlich wenig anfangen, schließlich will die Anhängerschaft am Fernsehschirm ja auch amüsiert werden. »Ich liebe offensiven und attraktiven Fußball, wenn wir dabei wenig zulassen. Letzteres ist uns nicht gelungen.« Aber allemal sei ihm ein solches 5:2 immer lieber als ein schnödes 1:0.
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