• Berlin
  • Kulturförderung und Corona

Vom Ball zur Bühne

Wenn Sportvereine gefördert werden, warum dann nicht auch die Kultur?

  • Linda Peikert
  • Lesedauer: 4 Min.

»Kultur ist lebenswichtig!«, heißt es von der Kampagne »Wir sind Kultur«. Unter Federführung des Landesmusikrats haben sich über 50 kulturschaffende Verbände zusammengeschlossen, um sich für ein Berliner Kulturfördergesetz einzusetzen, wie es bereits in Sachsen und Nordrhein-Westfalen existiert. Doch nicht nur das: Angesichts der dramatischen Auswirkungen der Pandemie auf die Kulturlandschaft werden die Rufe immer lauter, der rot-rot-grüne Senat möge die Kulturschaffenden durch die Krise bringen und die Kulturszene in Berlin wieder aufbauen.

Bei einer Diskussionsveranstaltung am Montagabend diskutierten Akteur*innen der Kulturbranche mit Kultursenator Klaus Lederer (Linke) darüber, wie ein solches Gesetz aussehen könnte. Die Berliner Kunst- und Kulturszene soll die Pandemie überleben, in diesem Punkt waren sich alle Gesprächsteilnehmer*innen einig. Doch wie das zu schaffen ist und was überhaupt als Kultur gilt, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ähnliche Diskussionen kennt man aus dem Sport, etwa wenn es um die Anerkennung von Computerspielen geht. Eine Orientierung der Kulturförderung am Sportfördergesetz liegt daher auf der Hand. Susanne Stumpenhusen, langjährige Landesbezirksleiterin Berlin-Brandenburg der Gewerkschaft Verdi, hält Musik und Sport für gleichermaßen relevant: »Die Kultur und die kulturelle Betätigung sind auch ein Grundpfeiler unserer Demokratie«, so Stumpenhusen mit Blick auf staatliche Zuwendungen für Sportvereine.

Christoph Markschies, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften spricht sich bei der Kulturförderung für einen möglichst breit gefassten Kulturbegriff aus. »Es ist wichtig, niemanden auszugrenzen und insbesondere dafür zu sorgen, dass diejenigen, die jeweils am Rande der klassischen Definition stehen und es besonders schwer haben – von Musikschulen bis freier Kunst –, mit drin sind«, sagt Markschies. Wie er Kultur definieren würde? »Das, was uns gerade fehlt.«

Der ehemalige Vorsitzende des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, Peter Raue, kann sich ein praxisorientiertes Kulturfördergesetz noch nicht so recht vorstellen. Der Rechtsanwalt sagt: »Es ist ein schwieriges und vielleicht sogar sinnloses Verfahren. In dem Moment, in dem man den Kulturbegriff definiert, steckt das Wort finis drin – das begrenzt also auch. Da haben wir schon die erste Schwierigkeit.« Susanne Stumpenhusen findet das wenig überzeugend. Die Gewerkschafterin verweist auf die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen, um etwas gegen die prekäre Situation der Kulturschaffenden zu unternehmen. Andere sehen in der Diskussion über den Kulturbegriff eher eine Chance: »Wenn man Kultur ins Gesetz schreibt und dadurch miteinander über Kultur diskutiert, fände ich das sehr positiv«, sagt Sabine Reinfeld vom Vorstand des Berufsverbands bildender Künstler*innen Berlin.

Der Berliner Senat ist da weitaus pragmatischer. Erst Ende vergangenen Jahres hat das Abgeordnetenhaus Clubs als kulturelle Einrichtungen anerkannt, um sie besser schützen zu können (»nd« berichtete). Sabine Bangert (Grüne), Vorsitzende des Kulturausschusses, befürchtet, dass ein Kulturfördergesetz auch mehr Bürokratie bedeuten könnte. Kultur müsse stattdessen immer mitgedacht werden, fordert sie. »Wenn wir Schulen planen, dann müssen wir Räume für Kultur mitplanen. Warum soll da nicht noch ein Stockwerk drauf gesetzt werden, das dann eine Musikschule oder eine Bibliothek nutzen kann?«, so Bangert. In ihren Augen ein einfacherer Weg, als es über ein Kulturförderungsgesetz zu regeln.

Auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) wünscht sich weniger Bürokratie, aber mehr finanzielle Mittel für die Kulturschaffenden: »Als ich angefangen habe, habe ich eine Förderverwaltung vorgefunden. Wir sind jetzt auf dem Weg zur Infrastrukturverwaltung mit Teilhabeforschungsinstitut, Kulturraumbüro, Diversity Arts Culture Büro«, sagt Lederer. »Wir bauen immer mehr auf, aber es reicht vorne und hinten nicht. Was uns am meisten fehlen wird, ist: Kohle. Kohle. Kohle.«

Dass es für die Förderung von Kunst und Kultur in Berlin mehr Geld braucht, scheint an diesem Abend unstrittig zu sein, auch dass der Kulturbegriff möglichst weit gefasst werden muss. Doch wie diese Förderung und die Rettung der durch die Pandemie angeschlagenen Branche konkret aussehen könnte, bleibt offen. Statt einer gemeinsamen Strategie gibt es am Ende mehr Fragezeichen als zuvor.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.