Israel muss weiter mit Netanjahu rechnen

Kein politischer Block verfügt in der Knesset über eine Mehrheit. Regierungsbildung dürfte schwierig werden

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

In den Cafés sitzen wieder die Menschen, auf den Märkten und an den Stränden herrscht reges Treiben. Und in Jerusalem, wo Israels Regierung ihren Sitz hat, wird ein Mann nicht müde, der Öffentlichkeit zu sagen, wem sie das zu verdanken hat: Ihm, Benjamin Netanjahu, dem Staatsmann, der Frieden mit vier arabischen Staaten geschlossen habe, dem Organisator, der Impfstoff für alle besorgt hat. Seit Anfang 2009 ist er nun ununterbrochen an der Macht.

Und nun ist es endgültig eng geworden. Zum vierten Mal innerhalb von nur zwei Jahren wurde am Dienstag in Israel gewählt. Am Tag danach wurde Netanjahu auch von seinen eigenen Leuten bekniet, endlich Platz zu machen, denn die Situation ist festgefahren. Eine Regierungsbildung scheint nahezu unmöglich. Schon in der Wahlnacht wurde über eine fünfte Wahl spekuliert. Und das liegt nicht daran, dass sich die 13 Parteien, die es wohl ins Parlament schaffen werden, inhaltlich nicht einigen könnten. Rechnet man Netanjahus Likud und die rechten und religiösen Parteien zusammen, kommt man auf 72 der 120 Parlamentssitze. Schuld ist Netanjahu, der im Laufe seiner elf Jahre im Amt mit einer Vielzahl von Affären für Aufsehen sorgte, nun wegen Korruption vor Gericht steht und durch rüde politische Methoden auch einstige Verbündete gegen sich aufgebracht hat.

Inhalte spielten bei der Wahl kaum eine Rolle. Es ging vor allem darum, ob Netanjahu eine weitere der nur noch sehr kurzen Amtszeiten bekommt. In den 59 Sitzen, auf die er nun einigermaßen sicher bauen kann, sind allerdings auch die Stimmen der Religiös-Zionistischen Partei enthalten, deren Vertreter*innen zum Teil dem Umfeld der Kach-Bewegung zugerechnet werden, einer als Terrororganisation verbotenen Gruppe. Vor der Wahl fielen sie vor allem mit rassistischen und homophoben Äußerungen auf; nun werden ihnen sechs Sitze prognostiziert.

Womit nun ein ziemlich überraschender Handlungswechsel kommt: Ausgerechnet die kleine arabische, islamisch-konservativ orientierte Partei Ra’am wird als mögliche Mehrheitsbeschafferin für Netanjahu gesehen. Vor der Wahl hatten der Premier und Parteichef Mansur Abbas Gespräche geführt; Ra’am trat daraufhin nicht mehr als Teil des arabischen Parteienbündnisses »Vereinigte Liste« an, das bislang drittstärkste Kraft im Parlament war. Abbas schloss einen Regierungseintritt auf Nachfrage explizit nicht aus. Das Problem: die Religiös-Zionist*innen würden dabei nicht mitmachen, fordern sie doch ein Groß-Israel ohne Araber*innen.

Die Parteien, die sich ganz klar gegen Netanjahu ausgesprochen haben, kommen auf 50 Sitze. Der Rest hatte die Entscheidung offengelassen. Nur: Hier müssten sich linke, rechte und die arabische »Vereinigte Liste« mit einer der ultra-orthodoxen, der konservativ-islamischen oder der rechtsradikalen Partei zusammenfinden, oder eine Fraktion aus dem Anti-Netanjahu-Lager doch wieder zu ihm überlaufen. Ein unwahrscheinliches Szenario, denn die Arbeitspartei, die Netanjahu noch vor einigen Monaten mit Versprechungen und Appellen an staatspolitische Verantwortung in die Regierung gelockt hätte, wird jetzt von Merav Michaeli geführt, einer Feministin, die das völlig ausgeschlossen hat. Gerade hat sie die Partei vor dem Aus bewahrt und auf eindrucksvolle sieben Sitze geführt; das werde sie keinesfalls aufgeben, sagt sie. Und Vertreter aller anderen Parteien betonen, man habe in den vergangenen Monaten gelernt, dass ein Netanjahu-Versprechen nichts wert sei. Nach der letzten Wahl hatte er sich mit Benny Gantz, Chef der nun kräftig eingedampften Blau-Weiß-Liste, auf eine Machtteilung geeinigt - und dann Gantz bei jeder Gelegenheit übergangen.

Dem Gesetz nach darf jede*r Abgeordnete mit der Regierungsbildung beauftragt werden, und auch im Likud versuchte man am Dienstag, Netanjahu davon zu überzeugen, jemand anderen ranzulassen. Doch dabei gibt es ein Problem: Seine Partei ist völlig auf Netanjahu zugeschnitten, potenzielle Nachfolger*innen hat der Likud nicht.

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