Liebe und Exzess
Plattenbau
16 Jahre lang Pause machen, um sich dann mit einer ersten Zeile wie »I don’t give a fuck about the past/ Or glory days gone by« zurückzumelden, das ist schon sehr schön. Arab Strap sind älter geworden, da gibt es kein Entrinnen, und da das lyrische Ich dieser Songs seit jeher kämpft mit Suff, schlechtem Sex, Peinlichkeiten und den Tränen, durchbrochen von einsamen Momenten von Euphorie, muss das Comeback-Album »As Days Get Dark« dann auch besonders gnadenlos beginnen. Ein Paar wird gemeinsam alt, Arab-Strap-Sänger Aidan Moffat erstattet im Opener »The Turning of our Bones« mit sonorem Sprechgesang Bericht: »The heart began to putrify and then the body bloated/ As our hair and teeth fell out we did our best to be devoted«. Dazu fabriziert Malcolm Middleton einen krautrockigen Elektropop, der vielschichtiger und überraschender klingt als die Musik der Band bislang, zum Beispiel als auf dem ersten Abschiedsalbum »The Last Romance« von 2005.
Ihr Duktus hat es Arab Strap von Anfang an erlaubt, in einer Weise von Schönheit und Scheiße des Menschengeschlechts zu erzählen, dass es ergreifend und zugleich derb und krass und komisch wirkte. Aidan Moffat findet in seinen Texten drastische Bilder und Metaphern (»Let’s squeeze the maggots from our flesh like tiny poison pustules/ Abandon all decorum/ Boil us down to our essentials«), deren Vulgarität immer wieder eine Verbindung mit einer schlichten Schönheit eingeht: »We’re all just carbon, water, starlight, oxygen and dreams/ And the sun, the moon, the earth, the neighbours long to hear our screams«. Die Komik sorgt hier paradoxerweise dafür, dass den Songs ihr existenzieller Ernst erhalten bleibt und das Ganze nicht in Leonard-Cohen-Epigonentum oder ähnlich Peinvollem verendet.
Ebenfalls sehr gut in einer den Zeiten angemessenen Weise zu Hause niedertrinken kann man sich zum Album »Distractions« der britischen Band Tindersticks. Wobei Rausch und Weltschmerz hier im Vergleich zu Arab Strap weniger randalierend ausfallen und eher kunstsinnig konzipiert sind. Auf »Distractions« ist wenig Überraschendes, die Band arbeitet seit 30 Jahren an einer kammermusikartigen Überblendung von Lounge-Musik, Soul, Rock und Jazz, die sie immer weiter ausdifferenziert und die oft als »filmisch« beschrieben wurde; was okay ist, weil es in diesem Fall halt mal stimmt. Der schönste Song des Albums ist der letzte, »The Bough Bends«: Vogelgezwitscher, eine Flöte - und dann die Stimme von Sänger Stuart A. Staples, der inzwischen ein recht einzigartiges Zeitlupen-Crooning perfektioniert hat, das klingt, als sei er drei Zentimeter vom Ohr des Hörers entfernt. Ein Vibrafon dengelt selbstvergessen vor sich hin, Bass und Schlagzeug bauen langsam über fast zehn Minuten eine Wand auf.
Arab Strap beschreiben deprimierende Wirklichkeiten und den Exzess, Tindersticks glauben zumindest für Momente an die lindernde Kraft der Liebe und vielleicht auch an die der Musik. »A big fantastic smile/ And I was desperate for that happiness/ She leaned and kissed me/ And for a moment I didn’t care about the rest«, nuschelt Staples im friedvollen Delirium. Mit Arab Strap weint man ins achte Bier, mit den Tindersticks in die sechste Weißweinschorle.
Arab Strap: »As Days Get Dark« (Rock Action/ PIAS/Rough Trade)
Tindersticks: »Distractions« (City Slang)
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